Blockaden beenden – Mehr Transformation wagen! Agrarbündnis präsentiert "Kritischen Agrarbericht 2022"

20. Januar 2022 | Landwirtschaft, Massentierhaltung, Lebensräume, Nachhaltigkeit, BUND

Auf seiner heutigen Online-Pressekonferenz hat das Agrarbündnis den "Kritischen Agrarbericht 2022" vorgestellt. Das agrarpolitische Jahrbuch erscheint in diesem Jahr bereits in seiner 30. Ausgabe. Der kritische Agrarbericht dokumentiert jährlich die Vielfalt der politischen Debatte mit fundierter Kritik am derzeitigen Agrarsystem, aber auch mit Konzepten, Ideen und gelungenen Praxisbeispielen, wie es anders gehen könnte. Ein Schwerpunkt des diesjährigen Berichts ist das Thema "Preis Werte Lebensmittel."

Das Feld ist bereitet – jetzt ist Gestaltung notwendig

In Bezug auf die neue Bundesregierung und die Ausrichtung der Agrarpolitik äußerte sich Frieder Thomas, Geschäftsführer des Agrarbündnisses, erst einmal zuversichtlich: Vieles von dem, was in den Verbänden an Positionen und Konzepten erarbeitet worden sei, finde sich auch im Koalitionsvertrag wieder. Jetzt sei es notwendig, den Reformstau aufzulösen und die dringend notwendige Transformation der Landwirtschaft anzugehen.

Preis Werte Lebensmittel: Arbeit fair bezahlen, Werte achten und Wertschöpfung honorieren

Der Agrarwissenschaftler forderte aber auch dazu auf, nicht allein über Fördermittel zu reden: "Wir müssen auch über Preise reden. Alle Berechnungen machen deutlich, dass die derzeit vorhandenen öffentlichen Mittel für angemessene Erzeugerpreise und eine nachhaltige Transformation der Landwirtschaft bei weitem nicht ausreichen." Wie zwei Beiträge im Agrarbericht zeigen, gibt es für eine gerechtere Verteilung der Erlöse innerhalb der Wertschöpfungsketten z.B. in Frankreich und Spanien gesetzliche Bestimmungen, die verhindern sollen, dass Verarbeiter und Handel die Erzeugerpreise unter die Produktionskosten drücken können. Ähnliche Maßnahmen erwartet Thomas auch von der neuen Bundesregierung. "Aber auch über Verbraucherpreise müssen wir reden", so Thomas weiter. Im "Kritischen Agrarbericht" wird in mehreren Beiträgen darüber berichtet, wie die meist "unsichtbaren" externen Kosten der Lebensmittelproduktion, die zu Lasten der Natur, der Allgemeinheit oder zukünftiger Generationen gehen, eingepreist werden können. So werden bewusste Konsumentscheidungen sowie mehr Fairness am Markt ermöglicht.

Bäuerinnen und Bauern sind bereit, wenn die Rahmenbedingungen stimmen

Elisabeth Fresen, Mutterkuhhalterin und Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), betonte, dass Bäuerinnen und Bauern bereit seien und die Herausforderungen wie Tierwohl, Klima- und Artenschutz anpacken wollen: "Aber damit das möglich ist, muss Cem Özdemir endlich den politischen Rahmen setzen, statt die Gestaltung den freien Kräften des Marktes zu überlassen." Dies bedeute konkret, die Empfehlungen der Borchert- und der Zukunftskommission für eine gesellschaftlich getragene Landwirtschaft schnell umzusetzen und den deutschen Strategieplan für die EU-Agrarpolitik (GAP) hinsichtlich sozialer Gerechtigkeit, Ökologie und Tierwohl weiterzuentwickeln. "Özdemir muss außerdem für kostendeckende Preise sorgen und durch besseren Zugang zu Land Perspektiven für bäuerliche Betriebe sicherstellen."

Umbau der Landwirtschaft auch global verantwortlich gestalten

Tobias Reichert von Germanwatch ging in der Pressekonferenz auf die internationalen Märkte ein: "Die Landwirtschaft in Deutschland und in der EU ist eng in globale Lieferketten eingebunden. Vor allem der Import von Futtermitteln wie Soja ermöglicht die industrielle Tierhaltung und damit auch den Export von Fleisch und Milch auf den Weltmarkt. Gleichzeitig ist Sojaanbau ein zentraler Treiber für Entwaldung in Südamerika. Das deutsche Lieferkettengesetz und die vorgeschlagene EU-Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten sind erste wichtige Schritte um dem entgegenzuwirken. Sie müssen auch Ökosysteme wie Savannen und Feuchtgebiete schützen, die besonders durch wachsende Ackerflächen zerstört werden. Mit dem notwendigen Um- und Abbau der Tierhaltung werden weniger Futterimporte benötigt – die verbleibenden dürfen Umwelt, Menschenrechten und Klima nicht schaden. Im Gegenzug müssen auch Exporte aus der EU zu Preisen stattfinden, die alle ökologischen und sozialen Kosten der Erzeugung enthalten."

Mit 30 Prozent Bio die Landwirtschaft und Ernährung umbauen mit Volldampf der Bundesregierung

Tina Andres, Vorstandsvorsitzende des Bio-Spitzenverbands BÖLW, kommentierte: "Warum die Bundesregierung sich 30 Prozent Bio vornimmt und Öko als Leitbild für den Umbau etabliert? Weil Bio ein Umbauprogramm für die Landwirtschaft, Lebensmittelherstellung und Ernährung ist. Mit Bio setzt setzt die Ampel auf das, was funktioniert. Und gibt Höfen eine Perspektive, vermeidet chemisch synthetische Pestizide, hält Tiere artgerecht, macht Ernährungsstile nachhaltiger und schützt das Klima. Die Wissenschaft belegt, dass Bio wirkt. Auch diverse Gremien wie die Zukunftskommission Landwirtschaft oder der deutschen Nachhaltikgeitsrat empfehlen Öko. Mit Bio haben wir ein klares Zielbild für den Umbau des Sektors. Bio ist ein gesetzlicher Standard mit klarer Kennzeichnung, dem Bio-Siegel, einem Kontrollsystem und einem etablierten Markt. Über 50.000 Höfe, Hersteller und Händler haben über die letzten Jahrzehnte einen echten Toprunner geschaffen, der jetzt auch Leitbild für den Umbau ist. Dafür muss die Bundesregierung einen guten Bio-Aktionsplan zimmern, genug investieren, eine sinnvolle Infrastruktur entwickeln, forschen, ausbilden und Absatzpotentiale heben."

Die 20-er Jahre müssen ein Tierschutzjahrzehnt werden

Für Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschtzbundes, gibt es kein Menschenrecht auf Billigfleisch und auch keines auf Fleisch. "Aber es gibt eines auf Ernährung. Daher sollten wir lernen, über Ernährungspolitik zu reden. Solange dabei Tiere für die Lebensmittelerzeugung genutzt werden, müssen wir sie auch bestmöglich schützen." Schröder sieht einen massiven Entscheidungsstau, den der Markt alleine nicht auflösen werde. Notwendig sei ein klares Ordnungsrecht mit dem Fokus Tierschutz. Als Instrumente für die Transformation der Landwirtschaft fordert er eine degressive, staatliche Tierwohlförderung – verbunden mit einer Bestandsreduktion – sowie eine Tierwohlabgabe und ein verbindliches staatliches Tierwohlkennzeichen. "Eine reine Herkunftskennzeichnung dagegen hat nichts mit Tierschutz zu tun, die Debatten darf man nicht verwischen. Wenn das alles gedacht, gemacht und gestaltet wird, dann kann das 20er Jahrzehnt ein Tierschutzjahrzehnt werden, was dringend geboten ist und auch für Landwirte und Landwirtinnen Planungssicherheit bringt."

EU-Agrarfördermittel zur Honorierung öffentlicher Leistungen nutzen

Olaf Bandt, Bundesvorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), ging auf den zielgerichteten Einsatz öffentlicher Mittel ein: "Die EU-Agrarmilliarden müssen dafür genutzt werden, gesellschaftliche Leistungen der Landwirtinnen und Landwirte zu honorieren. Wer mehr für den Klimaschutz macht, die Tiere besser hält, weniger Pestizide einsetzt und die Biodiversität schützt, muss unterstützt werden. Doch leider wird immer noch viel Geld mit der Gießkanne über Europas Äcker und Wiesen verteilt. Dies muss spätestens 2028 beendet werden. Bis dahin ist das neue Förderinstrument namens Öko-Regelungen stärker zu nutzen. Statt nur 23 Prozent sollten hierzulande 30 Prozent der Gelder dafür eingesetzt und danach ein jährliches Wachstum eingeplant werden. Als Umweltverband ist es uns besonders wichtig, dass landwirtschaftliche Betriebe die Umwelt und das Klima schützen. Doch wer von wirtschaftlichen Sorgen gequält wird, hat wenig Kapazitäten, weitere gesellschaftliche Leistungen zu erbringen. Von der Politik müssen Landwirtinnen und Landwirte erwarten können, dass sie diesen Transformationsprozess begleitet. Ein wichtiger Baustein dafür sind Rahmenbedingungen für faire Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse."

10 x 5 Kernforderungen an die neue Bundesregierung

Das Agrarbündnis bietet mit seinem jährlich erscheinenden "Kritischen Agrarbericht" eine Informations- und Diskussionsplattform für die gesellschaftliche Auseinandersetzung um eine nachhaltige Transformation von Landwirtschaft und Ernährung – in Deutschland, in Europa, aber auch weltweit.

Erstmalig in der Ausgabe 2022 haben die Autor*innen der Jahresrückblicke ("Entwicklungen und Trends") für die zehn Politikfelder, die regelmäßig im "Kritischen Agrarbericht" behandelt werden, jeweils fünf zentrale politische Forderungen zusammengestellt. Diese 10 x 5 Kernforderungen richten sich vor allem an die neue Bundesregierung, aber auch an weitere politische Entscheidungsträger*innen sowie Akteur*innen der Zivilgesellschaft.

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