Frieder Thomas, Geschäftsführer des Bündnisses, machte deutlich, dass die vielen aktuellen Krisen die Verletzlichkeit des derzeitigen Agrarsystems deutlich vor Augen führen: "Klima, Corona, Krieg, Welthunger, Artensterben: Die Landwirtschaft und das gesamte Ernährungssystem müssen nicht nur nachhaltiger werden, sondern auch resilienter, krisenfester. Agrarindustrielle Methoden mit ihren ökologischen Kollateralschäden, der hohen Abhängigkeit von fossilen Energien und globalen Lieferketten sind dabei eher ein Problem als Teil der Lösung. Gebraucht werden neue Strukturen – dezentral, regional, vielfältig –, aber auch das Wissen um nachhaltige Produktionsmethoden. Beides muss politisch unterstützt werden.
Die notwendigen Veränderungen können jedoch nur gelingen, wenn das Ganze durch eine Umstellung der Ernährungsgewohnheiten mitgetragen wird und zugleich Einkommensperspektiven für die bäuerliche Landwirtschaft geschaffen werden.“
Für Thomas wäre das dann eine Welt im Umbruch, die jedoch – anders als die Zerstörungen und Disruptionen, die wir derzeit erleben – durchaus wünschenswert sei.
Mehr Mut zum Wandel, Herr Minister – für eine gerechte und ökologische Agrarpolitik
Phillip Brändle, Referent für Agrarpolitik der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), ging auf die Europäische Agrarpolitik ein. Am 1. Januar habe nicht nur das neue Jahr, sondern auch eine neue Förderperiode der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP) begonnen. Bis 2027 sollen alleine in Deutschland rund 30 Mrd. Euro EU-Fördermittel in die Landwirtschaft investiert werden. Die Gestaltungsmacht der GAP sei enorm. Brändle kritisierte jedoch, dass Minister Özdemir bisher seine Möglichkeiten, die Versäumnisse seiner Vorgängerin zu korrigieren und die GAP gerechter und ökologischer zu machen, habe ziehen lassen: „Damit muss 2023 Schluss sein. Minister Özdemir muss schnellstmöglich einen praxistauglichen Fahrplan vorlegen, wie und in welchem Zeitraum, die Bundesregierung aus den pauschalen Flächenprämien aussteigen wird. Spätestens ab 2027 muss die GAP vollständig auf ein System zur Honorierung von Umwelt- und Tierwohlleistungen umgestellt werden, welches sich betriebswirtschaftlich lohnt und zudem die Fördergelder zwischen den Betrieben gerecht aufteilt. Er muss im neuen Jahr überdies eine Weideprämie für Milchkühe einführen, um die bisher stark benachteiligten Grünlandbetriebe endlich zu stärken.“
Umbau der Tierhaltung zentraler Beitrag zur Transformation der Landwirtschaft
Für Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, hat der Ukrainekrieg wie im Brennglas die Herausforderungen deutlich gemacht: „Es muss jetzt umso schneller um weniger Konsum und damit einhergehend weniger Produktion tierischer Lebensmittel gehen. Weniger Tiere müssen unter besseren Bedingungen gehalten werden.“
Für die Transformation der landwirtschaftlichen Tierhaltung forderte er deutlich mehr Tempo: „Es geht um das Ordnungsrecht, wo die Vorgaben anzuheben oder zu konkretisieren sind. Aber es geht auch darum, dass die Politik im Rahmen einer Nutztierstrategie Anreize und eine gesicherte Finanzierung für die Landwirte sicherstellt und eine tierleidfreie und umweltfreundliche Ernährung fördern muss. Der Markt alleine wird es nicht regeln.“
Reduktion des Pestizideinsatzes und konsequente Ausrichtung auf den Umbau der Landwirtschaft
Myriam Rapior, stellvertretende Bundesvorsitzende des Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND), kritisierte, dass vieles, auf das man sich in den letzten Jahren geeinigt hat, nun zu Unrecht wieder auf den Prüfstand komme: „Die Konzepte und Ideen liegen vor, um Tier-, Natur- und Umweltschutz in der deutschen Landwirtschaft voranzubringen. Die große Koalition hatte die Borchert-Kommission und die Zukunftskommission Landwirtschaft berufen, damit sich die verschiedensten gesellschaftlichen Akteure auf einen Fahrplan zur Zukunft der deutschen Landwirtschaft einigen. In ihrem Koalitionsvertrag hat sich die neue Bundesregierung zur Umsetzung ökologischer Ziele verpflichtet. Nur mit weniger Pestiziden und dem agrarökologischen Umbau der Landwirtschaft können wir aber eine angemessene Antwort auf die großen Krisen unserer Zeit finden! Wir brauchen eine resiliente Landwirtschaft, die Bodenfruchtbarkeit und Rückzugsflächen für Natur erhält und unabhängiger von Energieimporten ist. Das geht nur mit den Landwirt*innen gemeinsam, damit sie auch in Zukunft gute Lebensmittel produzieren können. Deshalb müssen nötige Förder- und Forschungsgelder bereitgestellt und das Budget der GAP umverteilt werden.“
30 Prozent Bio für ein resilientes Ernährungssystem und Wahlfreiheit für Essen ohne Gentechnik
Antje Kölling, politische Sprecherin bei Demeter, betonte die Bedeutung des Ökolandbaus gerade in Zeiten der vielfältigen Krisen: Durch geringere Abhängigkeit von externen Betriebsmitteln sowie die Schaffung besserer Bedingungen für die Artenvielfalt trage er zu Resilienz und Nachhaltigkeit unseres Ernährungssystems bei. „Damit die Ernährungsstrategie ein Erfolg wird, müssen Bund, Länder und Kommunen entschiedene Schritte folgen lassen, um frisches und gesünderes Essen in Kantinen verfügbar zu machen und den Bio-Anteil dort auf 50 Prozent zu bringen!“
Denn es habe sich in den letzten Jahren gezeigt, dass sehr viele Menschen gerne Bio kaufen, wenn es verfügbar und bezahlbar ist. Kölling wies zudem darauf hin, dass 2023 ein entscheidendes Jahr für alle sei, die weiterhin Lebensmittel ohne Gentechnik anbauen und essen wollen. „Die EU-Kommission arbeitet an einem Gesetzesentwurf zu neuen Gentechnikverfahren (NGT) in der Landwirtschaft. Es darf jedoch keine Gentechnik durch die Hintertür geben. Wahlfreiheit und Vorsorgeprinzip müssen weiterhin auch für neue Gentechnikverfahren gelten!“
10 x 5 Kernforderungen an die Politik
Das AgrarBündnis bietet mit seinem jährlich erscheinenden Kritischen Agrarbericht eine Informations- und Diskussionsplattform für die gesellschaftliche Auseinandersetzung um eine nachhaltige Transformation von Landwirtschaft und Ernährung – in Deutschland, in Europa, aber auch weltweit. Die Autor*innen der Jahresrückblicke ("Entwicklungen & Trends") für die zehn Themenschwerpunkte, die regelmäßig im Kritischen Agrarbericht behandelt werden, haben jeweils fünf zentrale politische Forderungen zusammengestellt. Diese 10 x 5 Kernforderungen richten sich vor allem an die Bundesregierung, aber auch an andere politische Entscheidungsträger*innen sowie Akteur*innen der Zivilgesellschaft.
Mehr Informationen
- Der "Kritische Agrarbericht"
- 10 x 5 Kernforderungen an die Politik
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