Umweltschäden von Anfang an vermeiden

23. Februar 2017 | Rolf Buschmann, www.nanoportal-bw.de

Zu den Zukunftsvisionen der Nanotechnologien gehört auch ihr möglicher Nutzen für die Umwelt. Zugleich stehen zu den Auswirkungen der heute schon eingesetzten Nanomaterialien auf die Umwelt noch eine Menge Fragen im Raum. Offen ist, wie die Nanotechnologien und Umweltschutz wirklich zusammengehen könnten.

Rolf Buschmann Rolf Buschmann, BUND-Nanoexperte  (Sebastian Hennigs)

Nanomaterialien seien die Materialien der Zukunft, heißt es oft. Teilen Sie diese euphorische Einschätzung?

Nur bedingt. Die Technologien bieten tatsächlich die Option auf einen anderen, sparsameren Umgang mit Ressourcen, insofern können sie durchaus zukunftsträch­tig sein. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass Na­nomaterialien auch spezifische Fragen aufwerfen. Die Funktionalisierungen bedeuten beispielsweise auch Außenkontakt mit Mensch und Umwelt. Angesichts der großen Versprechen fragen wir daher nach dem Abgleich mit der Realität: Kann das jeweilige Material das wirklich leisten? Und: Ist das denn überhaupt der richtige, der beste Weg ein Pro­blem zu lösen? Diese Betrachtung wäre aus unserer Sicht dringend nötig, fehlt aber leider oft.

Welche Nanomaterialien bereiten Ihnen mit Blick auf die Umwelt besondere Sorgen?

Wie groß die Sorge ist, hängt sehr vom Kontext ab. Carbon Nanotubes haben als isoliertes Material das höchste toxische Potenzial – das hat die Industrie auch längst erkannt. Die Fasern sind daher immer irgendwo eingebracht, die Materialien können also durchaus sicher gestaltet werden. Wir betrachten aber immer den ganzen Lebens­zy­klus und da wird ein an sich risikoarmes Material wie Nano-Titandioxid eben an einer späteren Stelle kritisch.

Die Frage ist doch: Wie und in welcher Form bringen wir ein Material an uns heran? Mit dieser Frage kann man für jeden Stoff ein Szenario entwickeln, in dem man die Anwendungsgebiete und den Lebenszyklus der Anwendungen im Blick behält.

Über gesundheitliche Auswirkungen der wichtigsten Nanomaterialien ist verhältnismäßig viel bekannt. Aber was wissen wir über die Folgen von Nanomaterialien in der Umwelt?

In der Humantoxikologie wissen wir inzwischen tatsächlich sehr viel. Das ist nicht zuletzt ein Verdienst der Wissenschaftler aus dem Arbeitsschutz und glücklicherweise kritischer Behörden. Doch auch hier ist noch nicht alles geklärt, denken wir zum Beispiel an Nano-Siliciumdioxid im Magen-Darm-Bereich. Wir haben Hinweise darauf, dass es dort teilweise in die Zellen gelangt. Aber wir kennen die Folgen noch nicht. Solche Hinweise stellen aus unserer Sicht die Anwendung von nSiO2 in Lebensmitteln insgesamt in Frage.

Die Ökotoxikologie ist dagegen noch sowas wie eine Black Box. Wir hören immer wieder den Hinweis darauf, dass Nanomaterialien ja stark zum Agglomerieren neigen. Stimmt. Aber das ist doch kein Beleg für Unschädlichkeit. Denn zum einen sind Agglomerate sind keineswegs dauerhaft feste Verbindungen, auch sie können sich in einer neuen Umgebung wieder auflösen. Und zum anderen ist auch ein Agglomerat von Nanopartikeln mit all seinen inneren und äußeren Wechselwirkungen noch immer ein "neuer" Stoff, der bisher so in der Umwelt nicht anzutreffen war.

Von den sehr komplexen Umwelt-Matrizes haben wir heute einfach noch nicht viel verstanden. Und die Ergebnisse der bisherigen Tests können im Moment kaum verglichen werden. Wir müssen uns deshalb mit Blick auf die Nanomaterialien auch fragen: Wie gut sind eigentlich unsere Testverfahren, müssen sie vielleicht geändert werden? Sind eigentlich alle Teilchen richtig charakterisiert? Stellen wir überhaupt die richtigen Fragen?

Hersteller verweisen immer wieder darauf, dass Nanomaterialien im Produkt fest in der Matrix eingebunden seien. Sie kämen daher gar nicht in direkten Kontakt mit der Umwelt. Beruhigt Sie dieser Sachverhalt?

Für den Nutzungsfall: Ja. Aber "fest" ist ja relativ, deshalb muss man immer auch fragen: Wie einfach lässt sich das Material wieder herauslösen? Ergeben etwa Einflüsse durch unsachgemäße aber dennoch erwartbare Behandlung ein höheres Risiko? Wie sicher kann ein Hersteller dessen eigentlich sein? Und was passiert am Ende des Lebenszyklus‘: Bleibt das Produkt da fest?

Idealerweise ist das Ziel: Einen Kreislauf herzustellen, in dem die einzelnen Rohstoffe und also auch die Nanomaterialien am Ende des Lebenszyklus zurückgewonnen und für neue Produkte eingesetzt werden. Für nanomaterialhaltige Produkte ist das bisher nicht möglich – schon weil wir die Stoffströme gar nicht kennen.

Ein ökologisch sinnvolles, ein im besten Sinne nachhaltiges Produkt ist sicher in der Anwendung, sicher in der Entwicklung und Herstellung und sicher in der Entsorgung und wiederverwertbar. Geht das für Produkte mit Nanomaterialien? Wenn nicht, ist vielleicht ein Produkt ohne Nanomaterialien das ökologisch vernünftigere.

Nanomaterialien könnten auch Beitrag zum Umweltschutz leisten, etwa in der Wasserreinigung, für den Ersatz chemischer Pestizide oder in der Dämmung. Gibt es Nano-Anwendungen, in die Sie besonders viel Hoffnung setzen und deren Durchbruch Sie sich wünschen?

Sinnvoll wären langlebigere Produkte mit längeren Nutzungsphasen. Carbonbeton könnte dazu beitragen, wenn in der Bilanz der Ressourcenverbrauch wirklich niedriger ist, als bei herkömmlichem Beton. Was wir fraglos brauchen, ist außerdem Beton, der effizient hergestellt und eingesetzt und darüber hinaus gut rückbaubar wäre, um die eingesetzten Rohstoffe zurückzugewinnen.

Auch einfache, günstige und hochwirksame Verfahren zur Wasserreinigung wären nützlich. Sauberes Wasser für alle ist eine der großen zivilisatorischen Herausforderungen. Wir brauchen Möglichkeiten zur Entsalzung, Entkeimung und Aufbereitung. Hocheffiziente Nano-Filter, die mit Physik statt Chemie arbeiten, haben da großes Potenzial.

Aber es darf nicht nur darum gehen, wie bisher weiterzumachen und dann die Schäden besser zu beseitigen. Wir müssen umweltgerechtes Handeln insgesamt neu denken. Löst es zum Beispiel die Probleme im Pflanzenschutz wirklich, wenn wir chemische Pestizide durch nanomaterialhaltige ersetzen? Ich wage das zu bezweifeln. Es ist sicher gut, wenn wir es schaffen, Umweltschäden zu beseitigen. Zukunftsträchtig aber ist ein Wirtschaften, bei dem Umweltschäden von Anfang an ausgeschlossen werden können.

Eine Schwierigkeit bei der Suche nach einem verantwortungsvollen Umgang mit Nanotechnologien ist, dass wir gerade erst begonnen haben, sie einzusetzen und die Risiken in Herstellung, Anwendung und Entsorgung zu untersuchen. Langzeitfolgen können wir heute noch gar nicht benennen. Gibt es sowas wie Frühwarnzeichen, die beachtet werden sollten?

Wir befinden uns tatsächlich in einem Dilemma: Wir sind ein junges Element auf dieser Erde und haben keine Frühwarnsysteme. Wir wissen viel, aber nicht genug. Wir können also die Konsequenzen unseres Handelns nur sehr schwer abschätzen. "Late lessons from early warnings" – wir lernen erst spät aus früheren Warnungen, wie es die Europäische Umweltagentur nannte. Weil wir das wissen, müssen wir eine Balance finden zwischen Vorsicht und Neugier. Das bedeutet eine ehrliche Diskussion darüber, welche Indikatoren wir beachten wollen und wo wir dann auch regelmäßig und ehrlich hinsehen.

Gibt es heute Anwendungen, die aus Sicht des Umweltschutzes besser verbannt gehörten?

Wir setzen nach wie vor Nano-Silber in Alltagsprodukten ein, obwohl es Warnungen gibt. Wir wissen doch längst, dass übermäßige Hygiene eher kontraproduktiv ist. Statt danach zu handeln, und Nano-Biozide aus Produkten für den privaten Gebrauch zu verbannen, setzen wir sie noch immer weiter ein. Damit nehmen wir die Risiken für die Evolution der Mikroorganismen und für die Umwelt in Kauf. Da muss man sich doch fragen: Was haben wir eigentlich gelernt? Es gibt bisher kein System, das verhindert, dass wir Mist bauen.

Wir untersuchen noch immer nicht gezielt, wo wir eigentlich schon heute industriell hergestellte Nanomaterialien in der Umwelt finden. Statt uns zu fragen, ob wir die Folgen unseres Handelns überhaupt verantworten können, leben wir noch immer nach dem Motto "Was machbar ist, wird auch gemacht". Ich finde es wird Zeit, die Diskussion anders zu führen und das Schlechte von Anfang an gar nicht erst zu machen.

Der BUND hat sich an dem versucht, was auf EU und nationaler Ebene bisher gescheitert ist und eine Produktdatenbank aufgebaut: Wer will, kann sich so einen kleinen Einblick darüber verschaffen, in welchen Produkten Nanomaterialien eingesetzt werden könnten. Welche Produktgruppen sind darin am stärksten vertreten? Wie erklären Sie sich das?

Die Leute, die uns Produkte für die Datenbank melden, sind sehr kritisch und sensibel für das Thema Chemikaliensicherheit und Nanomaterialien. Entsprechend aufmerksam sind sie beim Einkauf. Die meisten Einträge in der Datenbank betreffen denn auch Kosmetika und Produkte aus dem Reinigungsbereich. Das ist kein Wunder, für Kosmetika gibt es eine Nano-Kennzeichnung und auf Nanoeffekte bei Reinigungsmitteln wird vielfach in der Werbung abgestellt. Viele Fragen, die uns erreichen betreffen Lebensmittel. Da sind die Leute in Sorge und sehr sensibel.

Wie reagieren die Hersteller, wenn ihre Produkte in der Datenbank auftauchen?

Oft streiten sie zunächst ab, dass ihr Produkt tatsächlich Nanomaterialien enthält. Können wir sie dann vom Gegenteil überzeugen, ist die nächste Reaktion oft abwiegelnd: Das ist alles sicher. Sie empfinden den Eintrag in die Datenbank als Vorwurf, als Warnung. Das stimmt aber nicht. Wir wollen damit lediglich Transparenz herstellen. Und wir wollen, dass der Einsatz von Nanomaterialien durchaus immer wieder neu hinterfragt wird: Bringt die Anwendung eigentlich den erhofften Effekt? Und ist dieser Effekt eigentlich wichtig? Wird hier also ein Nanomaterial zu recht und sinnvoll eingesetzt?

Was muss passieren, damit Nanomaterialien tatsächlich umweltfreundlich eingesetzt werden könnten?

Schon in der Risikobewertung für jeden einzelnen Nanopartikel zeigen sich die Anwendungsbereiche, für die er überhaupt in Frage kommt. Entscheidend ist das Vorsorgeprinzip. Aus dem ergibt sich unmittelbar, dass manche Anwendungen eben einfach gar nicht stattfinden sollten. Danach sollten wir dann auch handeln.

Außerdem müssen wir auf die Grenzen unserer Möglichkeiten reagieren: In der Risikobewertung spielen unter anderem Dosis-Wirkungskurven eine Rolle. Die Nanoskaligkeit von Materialien kann die für einen Stoff bekannten Dosis-Wirkungskurven verändern: Denn bewirken vielleicht einige wenige kleine Teilchen kaum etwas, kann eine etwas größere Anzahl der Teilchen dennoch viel wirksamer sein, weil die Einzelpartikel neue Wechselwirkungen mit ihrer Umgebung eingehen. Das bedeutet: Die Wirkungsverläufe von Nanomaterialien in der Umwelt sind im Moment nicht vorhersagbar. Und damit fehlen uns auch die Möglichkeiten für ein sinnvolles Monitoring. Auch deshalb setzen wir uns so energisch für ein Register ein: Wie müssen für die Zukunft wissen, welche Materialien konkret wo in welche Umweltmedien eingebracht werden.

Und es darf nicht länger nur darum gehen, Unfälle zu beherrschen. Ziel des Abwägens muss von Anfang an sein, Produkte herzustellen, deren Lebensweg ohne Umweltschäden vonstattengeht, die positiven Nutzen haben und deren Rohstoffe wiederzugewinnen sind. Dann ist automatisch auch die Frage: Können wir auch die Nanomaterialien in die Stoffströme zurückführen? Wenn die Antwort ja ist, haben wir ein nützliches, zukunftsfähiges, umweltfreundliches Produkt.

Der BUND ist von Anfang an eine wichtige, kritische Stimme im öffentlichen Dialog. Was wurde in dieser Zeit erreicht? Was ist das Ziel für die nächste Zeit?

Ein großer Gewinn der intensiven Dialoge ist sicher, dass die Beteiligten zu einem respektvollen, vertrauensvollen Umgang miteinander gefunden haben. Außerdem haben sie für sehr viel mehr Transparenz gesorgt. Es hat alle vorangebracht, sich kritisch mit dem Thema auseinanderzusetzen und andere Auffassungen zu akzeptieren und auch offen zu kommunizieren. Das hat geholfen, dass statt Konfrontation heute die gemeinsame Suche nach Lösungen möglich ist. Dennoch: Eine kritische Begleitung der Entwicklungen ist weiter nötig. Und da ist es besonders schade, dass in den unabhängigen zivilgesellschaftlichen Institutionen nur sehr wenige Personen mit geringen Ressourcen zu dem Thema arbeiten. So besteht ein starkes Ungleichgewicht zwischen den Playern. Andererseits stehen wir in Deutschland damit noch gut da: In vielen anderen Ländern gibt es überhaupt keine NGO-Initiativen zum Thema Nanotechnologien.

Der BUND kämpft weiter um Transparenz. Auch gegen politische Widerstände, denn fordern Politiker sehr viel weniger, als Unternehmen zu tun bereit wären. Wir brauchen ein europäisches Produktregister – für Transparenz und Regulierung aber vor allem für die Vorsorge und um die Stoffströme der Nanomaterialien nachverfolgen zu können. Wie sowas aussehen könnte, wurde in verschiedenen Nano-Dialogen schon durchgespielt und wir wären mit unserer guten Dialog-Kultur in Deutschland geradezu prädestiniert dafür gewesen, so ein Register einzuführen. Stattdessen wird Transparenz heute nur noch durch Regulierung ausgelöst. Einzelne Akteure tun sich zwar positiv hervor. Ihre Art, mit den Nanomaterialien umzugehen, kann man als Maßstab nehmen. Aber dafür ist eben politischer Wille nötig. Stattdessen wird das Thema auf EU-Ebene gänzlich blockiert. Hier wäre ein Vorstoß aus Deutschland nötig: Zum Beispiel durch den Vorschlag, bestimmte Nanomaterialien auf die Kandidatenlisten für die besonders gefährlichen Stoffe nach REACH zu setzen.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf www.nanoportal-bw.de

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