Für Trump ist TTIP noch nicht erledigt

31. Januar 2017 | Ernst-Christoph Stolper, Interview: Matthias Lambrecht, www.greenpeace-magazin.de

Das Handelsabkommen zwischen den USA und der EU liegt seit dem Machtwechsel in Washington auf Eis. "Stop-TTIP"-Sprecher Ernst-Christoph Stolper warnt, dass der neue Präsident die Verhandlungen schon bald wieder aufnehmen könnte – und dabei allein die Interessen der amerikanischen Konzerne im Auge hätte. Deshalb geht der Protest weiter.

Ernst Christoph Stolper Ernst Christoph Stolper  (BUND)

Der neue US-Präsident kündigt Handels­ab­kommen auf und droht, die US-Wirt­schaft mit höheren Zöllen zu schützen. Hilft der Freihandels-Gegner im Weißen Haus den TTIP-Kritikern in Europa, ihre Forderungen durchzusetzen?

Nein, das macht es uns überhaupt nicht leichter. Die Ziele von Trump sind nämlich genau das Gegenteil von dem, was die Stop-TTIP-Bewegung in Deutschland und Europa fordert – etwa in der Klimapoli­tik, in der Sozial- und Wirtschaftspolitik oder beim Umgang mit Flüchtlingen. Dass es nun einige gibt, die uns mit Trump als Freihandelsgeg­ner in einen Sack werfen, ist absurd.

Derzeit herrscht in den Medien eine Trumpmania: Mit der Faszination des Grauens wird jede Regung von Trump penibel berichtet und im Sinne eines Gruselfilms können sich die BürgerInnen mit wohligen Schauer zurücklehnen und sagen: Unsere bisherige Politik ist doch eigentlich gar nicht so schlecht. Und auch unsere Handelspolitik kann nicht so schlecht sein, wenn Trump dagegen ist. Doch das genaue Gegenteil ist der Fall: Die neoliberale Politik der Vergangenheit hat die Trumps, LePens, Wilders und Petrys erst möglich gemacht. Es kann nicht sein, dass die Angst vor Trump benutzt wird, um eine neoliberale Politik, die allein den Interessen der Unternehmen dient, über die Hürden zu tragen – eine Politik, die eigentlich am Ende ist, weil sie von den Bürgern nicht mehr gewollt wird.

Artikuliert Trump nicht die Sorgen von Menschen in den USA, die fürchten, dass die Globalisierung ihre Arbeitsplätze bedroht?

Er artikuliert die Sorgen derjenigen, die zu den Verlierern gehören oder sich zurückgelassen fühlen. Das ist ein Gefühl, das viele Menschen teilen, die nicht von der Globalisierung profitieren. Aber er wendet sich dabei aggressiv nach außen, sucht Sündenböcke wie die Mexikaner, um sie für die Probleme verantwortlich zu machen und Scheinlösungen zu propagieren. Das hilft nicht weiter und es zerstört die Gesellschaft.

Was ist der Unterschied zwischen der "America-First"-Politik und Ihrer Vorstellung von einem fairen Welthandel?

Trump will auch weiterhin Han­dels­­ab­­kommen abschließen – allerdings nur solche, die allein den USA nutzen. Ich erwarte erst einmal eine härtere Gangart der USA beim Aushandeln von Handels­verträgen, also eine aggressive Ausweitung der bisherigen Politik im Sinne von "America first". Trump vertritt die Interessen seines Landes, aber auch die der großen Konzerne. Er ist selbst Unternehmenschef, sein Kabinett ist mit ehemaligen Führungskräften großer Konzerne besetzt. Uns als Bewegung gegen TTIP und CETA geht es nicht darum, Länder gegeneinander auszuspielen. Das ist nicht die Frontlinie. Es geht vielmehr darum, die Interessen der Bürger gegen die der Konzerne durchzusetzen. Deshalb lehnen wir Sonderrechte für große Unternehmen ab, insbesondere beim Investitionsschutz. Wir sind nicht gegen die Globalisierung insgesamt oder den internationalen Handel, sondern gegen eine Wirtschaft, die sich der demokratischen Kontrolle der beteiligten Länder und ihrer Bevölkerungen entzieht. Wir wollen die Rechte der Bürger und der Zivilgesellschaft stärken und die Mitbestimmung ausbauen. Ich sehe nicht, dass Trump sich auf Seiten der Bürger und gegen große Konzerne stellt – sondern er vertritt genau das Gegenteil.

Wenn Trump Unternehmen, die nicht in den USA produzieren, mit hohen Strafzöllen droht, stellt er sich doch auch gegen große Konzerne.

Da würde ich erst noch abwarten, ob er seine Ankündigungen tatsächlich so umsetzt. Trump thematisiert die Möglichkeit des Staates, sich in den Handel stärker einzumischen. Da hat es in den USA aber immer schon eine andere Kultur gegeben. Beispielsweise bei den Sanktionen gegen den Iran: Da war völlig klar, dass der Staat die Regeln vorgibt und die Unternehmen selbstverständlich folgen. Im Gegenzug erwarten die Konzerne dann aber auch die Unterstützung des Staates in internationalen Konflikten – bis hin zu Kriegseinsätzen, um die Interessen der US-Wirtschaft durchzusetzen. Die Verflechtung zwischen Staat und Wirtschaft ist in den USA erheblich enger als bei uns.

Trump hat angekündigt, Handelsabkommen mit einzelnen Staaten abzuschließen, statt etwa mit der EU oder einer Gruppe von Pazifik-Anrainerstaaten zu verhandeln. Lassen sich Forderungen nach fairen und umweltverträglichen Bedingungen in solchen bilateralen Abkommen besser durchsetzen als bei TTIP?

Zunächst einmal ist TTIP ja auch ein bilaterales Abkommen. Zwar sind in der EU viele Mitgliedstaaten zusammengeschlossen, in den Verhandlungen treten sie aber als ein Handelspartner auf. Trumps Kritik richtete sich zunächst gegen das multilaterale pazifische Abkommen TPP. Er hat noch nicht erklärt, dass TTIP für ihn erledigt sei. Ich halte es für durchaus möglich, dass das Projekt für einige Zeit auf Eis gelegt wird, um dann – gegebenenfalls unter neuem Namen – wieder aufgenommen zu werden. Handelsabkommen mit einzelnen Mitgliedstaaten der EU könnten die USA unter Trump nur abschließen, wenn die EU zerschlagen würde. Das mag das Ziel von Trump sein, für Europa wäre es eine Katastrophe. Es würde auf unseren entschiedenen Widerstand treffen. Allerdings muss sich auch die EU verändern: Mehr Demokratie, mehr Transparenz und ein ökologisch-soziales Reformprogramm wären notwendig – kein "Weiter so".

Sehen Sie also die Gefahr, dass Positionen, die TTIP-Gegner in der Vergangenheit kritisiert haben, von der Trump-Administration noch härter vertreten werden?

Genau das kann passieren. Nach den bisherigen Erfahrungen mit der EU-Kommission kann man durchaus sehr große Zweifel haben, ob sie in der Lage ist, dem Paroli zu bieten. Schließlich hat sie bereits in der Vergangenheit lieber die Allianz mit dem Verhandlungspartner als mit der eigenen Bevölkerung gesucht – etwa wenn es darum ging, die Verhandlungen transparenter zu machen.

Mitte Februar entscheidet das europäische Parlament über CETA. Muss das Abkommen zwischen der EU und Kanada angesichts der sich abzeichnenden Veränderungen in der US-Handelspolitik neu bewertet werden – weil es im Vergleich zu dem, was von Trump zu erwarten ist, zumindest Ansätze einer fairen Handelspolitik zeigt, die weiterentwickelt werden könnten?

Ich sehe mit großer Überraschung, dass insbesondere die SPD jetzt versucht, CETA als ein Abkommen zur positiven Gestaltung der Weltwirtschaft darzustellen. Was in CETA drin steht, ist vom gleichen Geist getragen wie die TTIP-Entwürfe. Da geht es ebenso um Sonderrechte für Konzerne und die Angleichung von Gesetzen auf dem Wege der "Regulatorischen Kooperation". Das führt dazu, dass Gesetze zum Schutz von Verbrauchern und Umwelt angeglichen und – wenn sie der Wirtschaft nicht genehm sind – als "Handelshemmnis" diffamiert und geschleift werden. Wir sehen da überhaupt keinen Fortschritt. Und diese Einschätzung hat sich auch mit dem Regierungswechsel in Washington nicht geändert. Im Gegenteil: CETA gibt US-Konzernen bereits ohne TTIP Klagerechte vor einer Investitionsschutz-Paralleljustiz. CETA ist kein Vertrag für fairen Handel, sondern der Vorreiter einer neuen Generation von Handelsabkommen, die demokratische Rechte ebenso wie soziale und ökologische Standards beschneidet.

Wie muss sich der Protest gegen TTIP in Europa ändern, wenn Trump statt Barack Obama die Politik des Weißen Hauses bestimmt?

Wir werden unsere Arbeit in der gleichen Intensität fortsetzen wie bisher, beim Widerstand gegen CETA nicht nachlassen, weder in den Gesprächen mit Europaabgeordneten vor der Abstimmung im EU-Parlament, noch auf nationaler Ebene, wo das Abkommen von den Parlamenten der Mitgliedstaaten ratifiziert werden muss. In Deutschland steht das erst nach der Bundestagswahl an. Bei TTIP werden wir sehr aufmerksam beobachten, was aus Washington kommt. Da sind wir weiterhin alarmiert, weil uns keineswegs sicher scheint, dass TTIP endgültig tot ist. Und es gibt weitere, besorgniserregende Entwicklungen: Die EU-Kommission will in internationale Verhandlungen über einen multilateralen Investitionsgerichtshof eintreten. Wie bereits im CETA-Abkommen vorgesehen, würde damit eine vom normalen Rechtssystem getrennte Parallel-Justiz für internationale Konzerne etabliert. Dort können nur Unternehmen gegen Staaten klagen. Das ist ein Unding, solange dort nicht auch Verbraucherschützer, Arbeitnehmervertretungen oder Umweltverbände gegen Unternehmen klagen können. Wenn man soziale und ökologische Rechte vor einem internationalen Gerichtshof einklagen könnte, wäre das ein Fortschritt bei der Gestaltung der Weltwirtschaft. Aber bisher geht es wieder genau in die falsche Richtung. Die EU-Kommission hat aus der Kritik der vergangenen Monate offenbar nichts gelernt.

In den USA hat Trump nach wenigen Tagen im Weißen Haus eine landesweite Protestwelle gegen sich mobilisiert. Kann diese erstarkende Bewegung beim Kampf gegen TTIP in Europa helfen?

Man darf nicht unterschätzen, dass unsere Partnerverbände in den USA gerade massiv unter Druck geraten. Trumps Entscheidungen zum Bau der Keystone XL- und der Dakota-Pipeline markieren erst den Anfang einer radikalen Umkehr in der Umweltpolitik, nachdem die Umweltschützer ja schon den Baustopp durchgesetzt hatten. Jetzt haben sie es mit einem großen Schritt in die falsche Richtung zu tun. Da gegenzuhalten wird zunächst alle Kräfte in den USA binden. Vielleicht wird daraus aber der Kristallisationspunkt eines wachsenden nationalen und globalen Widerstands, der uns hilft, unsere gemeinsamen Forderungen durchzusetzen.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf www.greenpeace-magazin.de

BUND-Bestellkorb