06. Juli 2023 | Meldung

Hinter dem Begriff "Effizienz" verbergen sich meist technische Lösungen: Eine neue Technik hilft, mit deutlich weniger Aufwand viel mehr Leistung zu erbringen. Der Nutzen soll dabei mindestens gleich bleiben. Ein klassisches Beispiel: die LED-Lampe. Oder Mikro-Speicherchips. Oder der neue Kühlschrank – er ist größer, braucht aber nicht mehr Energie als der alte. "Konsistenz" dagegen meint den Wechsel zu anderen Energieformen – wie Sonne und Wind.
"Suffizienz" heißt, Material und Energie zu sparen
"Suffizienz" steht demgegenüber für Begrenzen und ein "Weniger". Es zielt im Bewusstsein der begrenzten natürlichen Ressourcen, des Klimawandels und drohenden Artenverlusts darauf, absolut Energie und Material zu sparen. Oft wird dabei jedoch an den Lebensstil jedes und jeder Einzelnen appelliert. Wir bekommen Energiespartipps und Hinweise, das persönliche Verhalten zu ändern, etwa die Waschmaschine voll zu beladen und nur bei 40 Grad zu waschen, die Raumtemperatur zu senken, einen Winterkühlschrank auf dem Fensterbrett einzurichten.
Und während Heizungen, Beleuchtung, Dämmung und Hausgeräte immer effizienter werden – und die (Energie-)Effizienz mehr und mehr Bestandteil jeder Zukunftsstrategie in Politik und Unternehmen, in Stadtwerken und Kommunen wird, bleibt "Suffizienz" für Viele dennoch suspekt. Zu sehr wird das Konzept mit persönlichem Verzicht gleichgesetzt – und die Politik bleibt dabei, sie könne der Bevölkerung ihren Lebensstil nicht vorschreiben.
Fragen und Antworten zum Thema Suffizienz
Auch Solaranlagen verschlingen Ressourcen bei der Herstellung, der Anbau von Biomasse benötigt Fläche. Und Produkte, die effizient hergestellt werden, bieten wenig Vorteil, wenn sie dafür häufiger gekauft und genutzt werden – etwa spritsparende Autos. Dieser "Reboundeffekt" hebt dann die technische Einsparung wieder auf.
Suffizienz richtet sich nicht gegen den technischen Fortschritt. Doch bringt der oft neue Risiken mit sich. Und soziale Innovationen wie das Carsharing haben schon gar nichts mit Verzicht zu tun, sondern mit cleverer Nutzung, die Umwelt und Geldbeutel schont.
Suffizienz will, dass Lebensqualität ohne materiellen Reichtum erreicht werden kann – und damit gerade die Lebensqualität der weniger privilegierten Gruppen fördern, indem öffentliche Einrichtungen beibehalten und gefördert werden, wie Schwimmbäder, Musikschulen, Naturerlebnisräume.
… und deshalb mache ich weiter wie bisher? Dieses Argument kann Ausrede für die eigene Bequemlichkeit sein, Zweifel an der Wirksamkeit ausdrücken oder Zeichen von Resignation sein. Da lohnt es zu diskutieren: Dass Einzelne durchaus zeigen können, wie es anders geht, und so mehr Menschen überzeugen. Dass individuelle Schritte tatsächlich nur begrenzt wirken und die Politik darum helfen muss, suffiziente Lebensstile zu erleichtern. Zudem kann man sein Gegenüber motivieren, sich auf wirksame Stellschrauben (wie seltener fliegen) zu konzentrieren, statt viel Energie in wenig Wirksames zu stecken (wie Kartoffeln statt Reis essen).
… was ja nicht immer viel Konsum bedeuten muss: ein leckeres Essen aus dem Gartengemüse, ein Konzertbesuch mit Freundinnen, ein ausgedehnter Spaziergang, mal im Bett frühstücken oder in Ruhe ein dickes Buch lesen. Genuss ist oft eine Frage der Haltung, Konsum eine Frage des rechten Maßes. Aus gutem Anlass ein rauschendes Fest zu feiern, verspricht allemal mehr Genuss als täglich das Besondere zu suchen.
Das mag ja manchmal sein. Doch hat sie auch positive Effekte: Radfahren zur Arbeit dauert oft länger – tut aber der Gesundheit gut und sorgt für einen freien Kopf. Essen selbst zubereiten kostet mehr Zeit als Fast Food oder Tiefkühlkost – ist aber meist gesünder und schmeckt besser. Weniger shoppen spart Zeit und Nerven. Das Reisen mit der Bahn lässt sich zum Arbeiten oder Entspannen nutzen. Suffizienz kann eben auch bequem sein und helfen, Zeit zu gewinnen.
Gegenfrage: Welche Freiheiten schränkt der Status quo ein, wessen Interessen gewichtet er wie? Suffizienz schafft einen Rahmen für verschiedene Lebensentwürfe. Dazu zählt auch: "Niemand soll immer mehr haben wollen müssen" (Uta von Winterfeld). Deshalb ermöglicht Suffizienzpolitik mehr Selbstbestimmung. Wie die Freiheit, kein Auto zu haben oder in Teilzeit zu arbeiten.
Es gibt kein Recht auf Billigflüge zulasten anderer Menschen und der Umwelt. Fliegen schränkt die Freiheit der Menschen ein, die jetzt schon oder in Zukunft von der Klimaerwärmung betroffen sind. Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass sich Preise verändern, wenn darin auch der Umweltschaden eines Produkts abgebildet ist. Dinge werden auch teurer, wenn bei ihrer Produktion der Arbeitsschutz und faire Löhne gewährleistet sind.
Über das rechte Maß wird vielerorts bestimmt: In der Familie über das Taschengeld, in der Kommune, wie viel Raum für welche Verkehrsteilnehmenden zur Verfügung steht, in der Bundespolitik, welches Tempolimit auf Autobahnen gilt, oder auf den internationalen Klimakonferenzen, wie viel CO2 die Weltgemeinschaft ausstoßen darf.
Wir müssen demokratisch und transparent über den Zugang zu und die Verteilung von begrenzten Ressourcen diskutieren und entscheiden. Dabei sollten möglichst viele Freiheitsräume gewahrt bleiben, um das jeweils individuell rechte Maß zu bestimmen. Die politischen Maßnahmen reichen von Kennzeichnungen über ökonomische Instrumente wie Steuern und Subventionen bis hin zu Verboten.
Fußgängerzonen und Shoppingmalls oder Statistiken unseres Konsums und Ressourcenverbrauchs zeichnen ein ernüchterndes Bild: All die gut gemeinten individuellen Ansätze verändern die Konsumgesellschaft nicht wesentlich und bewirken kaum ökologische Entlastung. Gegen den (Konsum-)Strom schwimmen, das kann beleben. Doch es kostet Energie und wird wohl nie zu einem Massensport. Individuelle Strategien oder gemeinschaftliche Projekte und Initiativen für Suffizienz sind Vorreiter. Nur mit politischer Unterstützung können sie sich verbreiten und unseren Lebensstil spürbar suffizienter gestalten.
Es ist ein Problem in unserem heutigen Wirtschaftssystem, wenn viele Menschen weniger konsumieren, wenn Produkte länger halten, wenn weniger weggeworfen wird. Aber wenn immer mehr konsumiert wird, und das weltweit, werden die Umweltprobleme noch größer und damit oft auch soziale Ungleichheiten.
Deswegen müssen wir uns von der Abhängigkeit vom Wachstum befreien – und Suffizienz trägt dazu bei, Wohlstand ohne Wachstum zu ermöglichen. Die Transformation zu einer Postwachstumsgesellschaft ist gemeinsam gestaltbar!
Es geht auch um politische Rahmenbedingungen
Suffizienz wird zunehmend als ein notwendiger Baustein für eine nachhaltige Entwicklung, die die natürlichen Ressourcen bewahrt, anerkannt. Deswegen setzt sich der BUND für eine Suffizienzpolitik ein: Verwaltung, Politik, Kommunen und Unternehmen sollen Rahmenbedingungen für Bürger*innen schaffen, sie können Impulse und Anreize setzen für ein ressourcenleichteres Leben und mehr Lebensqualität.
Insbesondere Städte und Gemeinden können eigene Beiträge leisten – etwa mit einer nachhaltigen Stadtentwicklung und weniger Flächenverbrauch, dezentraler Energieversorgung und Energiesparprogrammen. Zugleich können (und müssen) sie für ihre Bürger*innen einen Rahmen schaffen, der ein gutes Leben einfacher macht: mit einer Stadt der kurzen Wege, einem ausgebauten und sicheren Radwegenetz, mit städtischen Stromspartarifen.
Lesen Sie mehr zu den vielfältigen guten Beispielen aus Städten und Gemeinden auf dem BUND-Blog "StadtLandGlück":
Blog "StadtLandGlück"
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Publikationen zum Thema Suffizienz
- Position paper: Resource protection means drastic reduction of resource consumption
- Factsheet Studie „Blackbox Chemieindustrie": Zusammenfassung
- Digitaler Produktpass für Ressourcenschutz und Kreislaufwirtschaft
- Challenges for a Sustainable Chemicals and Materials Policy
- Herausforderungen für eine nachhaltige Stoffpolitik
- Besser essen: Gute Lebensmittel einkaufen
- Besser haushalten: Wasser, Wärme und Strom sparen
- Besser mobil: Umweltfreundlich unterwegs
- Herausforderungen für eine nachhaltige Stoffpolitik (Kurzversion)
- Ressourcenschutz heißt drastische Verringerung des Ressourcenverbrauchs