Fischereipolitik: Mission Impossible?

Fangquoten, Anlandeverpflichtung, Kontrollverordnung: Die Gemeinsame Fischereipolitik der EU ist ein wahrer Gesetzes- und Bürokratiedschungel. Grundlegende Probleme, wie Überfischung, Beifänge und zerstörerische Fangmethoden bleiben seit den 70er Jahren scheinbar unverändert. Die letzten Jahre haben deutlich gezeigt, dass unser aktuelles Fischereimanagement nicht funktioniert. Warum ist es gescheitert und was muss jetzt passieren?

Fischereipolitik: Überfischung lässt Bestände schrumpfen Heringe sind eine der begehrtesten Fischarten für die Fischerei in Nord- und Ostsee. Vielen Beständen geht es auf Grund von Überfischung und Klimakrise sehr schlecht.  (pixabay / rohrspatz)

Die Meere und alle Lebewesen, die in ihnen schwimmen, krabbeln und treiben, kennen keine Grenzen. Sie wissen nichts von den Linien, die Menschen auf die Meeresoberfläche und -böden gezeichnet haben, um einzuteilen wem was gehört. Das und die Tatsache, dass Fische die wichtigste marine „Ressource“ der Welt und Nahrungsgrundlage für Milliarden von Menschen sind, macht Fischereipolitik zu einer echten Mammutaufgabe.

Die Gemeinsame Fischereipolitik der EU (GFP) verwaltet die Bewirtschaftung von Meerestieren in den Gewässern der europäischen Union und entscheidet wer, wo, wie viel und mit welchen Methoden fischen darf. Außerdem soll die GFP sicherstellen, dass die Fischerei transparent, sozial und umweltschonend ist. Doch obwohl die GFP seit 1983 in Kraft ist und regelmäßig reformiert wurde, sieht es in unseren Meeren nicht gut aus: Das Ziel die Überfischung bis 2020 zu beenden wurde verfehlt, Grundschleppnetze pflügen weiterhin über die Meeresböden und die vom Aussterben bedrohte Schweinswale und Seevögel enden immer noch als Beifang in Fischernetzen.

Klar ist: So wie es bisher war, darf es nicht weitergehen. Nur durch einen tiefgreifenden Wandel hin zu einer ökologischen und sozial gerechten Fischerei können Überfischung, zerstörerische Fangmethoden und der Beifang sensibler Meerestiere endlich beendet werden.

Fangquoten: Das Geschacher um die letzten Fische

Jedes Jahr entscheidet der europäische Fischereirat über die Fangquoten für das kommende Jahr. Für alle Fischbestände wird dabei eine maximale Fangmenge (engl. „Total Allowable Catch“, kurz „TAC“) beschlossen. Diese wird dann unter den EU Mitgliedsstaaten aufgeteilt, die ihren Anteil wiederum auf die nationale Fischereiflotte verteilen. Da über sehr viele verschiedene Gebiete und Fischarten diskutiert werden muss, werden die Verhandlungen aufgeteilt: Im Oktober entscheiden Fischereiminister*innen über die Fangquoten der Fischbestände in der Ostsee, im Dezember über die in der Nordsee. Trotz aller Verpflichtungen und Bekenntnisse der EU, Fischbestände nachhaltig zu bewirtschaften und die Meere in einen guten Umweltzustand zurückzubringen, werden in Nord- und Ostsee aktuell 40 Prozent aller Fischbestände überfischt.

Warum wird immer noch überfischt?

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Weil wissenschaftliche Empfehlungen ignoriert werden

Den Fangquoten Verhandlungen geht eine aufwendige wissenschaftliche Bewertung vom Internationalen Rat für Meeresforschung (ICES) voraus, die für jeden Fischbestand in den europäischen Meeren den aktuellen Zustand untersucht und eine maximale Fangquote vorschlägt. Auch die Öffentlichkeit kann diese Bewertungen einsehen. Doch jedes Jahr legen die Fischereiminister*innen auch Fangquoten über den wissenschaftlichen Empfehlungen fest und lassen so eine Überfischung weiter zu. Das ist vor allem für die Fischpopulationen dramatisch, die sich seit Jahren in einem sehr schlechten Zustand befinden und dringend Möglichkeit zur Erholung brauchen, z.B. Dorsch und Hering in der Ostsee.

Weil das Fischereimanagement nicht das große Ganze betrachtet

Im aktuellen Fischereimanagement der GFP werden Fischbestände als separate Einheiten gesehen und behandelt. Doch das Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Arten im Meer ist viel komplexer. Räuber-Beute Beziehungen, Umweltfaktoren, Klimakrise - alle diese dynamischen Einflüsse müssten in der Vergabe von Fangquoten mitberücksichtigt werden. Nur ein solches „ökosystembasiertes Fischereimanagement“ kann sicherstellen, dass es den Fischen langfristig gut geht und sie ihre ökologischen Funktionen im Meer erfüllen können.

Weil Beifänge und illegale Rückwürfe nicht ausreichend berücksichtigt werden

Jedes Jahr werden in der Fischerei Millionen Tiere als „Beifang“ verletzt oder tot wieder über Bord geworfen, da es kein Interesse gibt sie zu verwerten oder zu verkaufen. Um diese Verschwendung zu verhindern müssen in der EU seit 2015 alle Fische, für die es eine Fangquote gibt oder eine Mindestgröße gilt, an Land gebracht werden ("Anlandeverpflichtung"). Für den Mehraufwand alle Fische an Land zu bringen zu müssen wird die Fischerei seit dem mit zusätzlich aufgestockten Fangquoten (engl. "top-ups") belohnt.
Eigentlich ist die Anlandeverpflichtung eine gute Sache, aber sie hat einen sehr großen Haken: Fischerei wird extrem schlecht überwacht und kontrolliert. Auch in der EU werden riesige Mengen Beifang illegal im Meer entsorgt, um den Platz an Bord für die Zielarten aufzusparen oder Strafen zu vermeiden. Durch die zusätzlichen "top-up Quoten" wird die Überfischung noch weiter verstärkt, da noch mehr gefischt werden darf und zusätzlich die illegalen Rückwürfe weitergehen.

Weil Überfischung subventioniert wird

Jedes Jahr fließen weltweit ca. 30 Milliarden Euro in die Subventionierung von Fischerei. Mit dem Geld werden z.B. steuerfreier Treibstoff, modernere Motoren, der Neubau von Schiffen oder Verarbeitungsanlagen finanziert. Auch gute Maßnahmen, wie Kontrolle und Forschung werden über die Subventionen finanziert, aber über 60 Prozent der Subventionen fördern eine Überkapazität der Fischereiflotten und Überfischung. Unfassbar aber wahr: Große industrielle Hochseetrawler sind allein nicht wirtschaftlich und können nur wegen der Subventionen weiter fischen.

Weil die Vergabe von Fangquoten veraltet und unfair ist

Nachdem der europäische Fischereirat die Fangquote (TAC) für jede Fischpopulation festgelegt hat, wird diese unter den Mitgliedsstaaten aufgeteilt. Die prozentualen Anteile, die jedes Land von einer TAC erhält, sind seit 1983 gleich. Das gleiche gilt für die Verteilung der nationalen Fangquoten auf die deutsche Fischereiflotte. Jedes Schiff erhält jedes Jahr den gleichen prozentualen Anteil an der Quote.  Bei der Verteilung der Fangquoten geht es also um historische Rechte und Marktanteile. Ökologische und soziale Kriterien spielen bei der Vergabe bisher keine Rolle. Doch das könnte sich ändern, wenn Deutschland anfängt Artikel 17 der Gemeinsamen Fischereipolitik umzusetzen, der genau das erlauben würde.

Das System ist aber nicht nur veraltet, sondern auch unfair: Große industrielle Fangschiffe werden gegenüber der kleinen Küstenfischereien stark bevorzugt. In Deutschland bekommt die kleine Küstenfischerei (Schiffe < 12 Meter mit passiven Fangmethoden) gerade Mal 4 Prozent der Gesamtquote, obwohl sie 76 Prozent der Flotte darstellen.

Weil die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen stattfinden

Seit jeher finden die Verhandlungen über Fangquoten hinter verschlossenen Türen statt, ohne Zugang für die Öffentlichkeit. Auch die Umweltverbände müssen draußen bleiben. So ist es unmöglich nachzuvollziehen warum bestimmte Fangquoten über den wissenschaftlichen Empfehlungen festgelegt wurden und welche Länder besonders darauf gedrängt haben. Seit 2021 haben Umweltverbände in einigen EU-Staaten Zugang zu den Plenarsitzungen der Verhandlungen mit Norwegen und dem Vereinigten-Königreich und so wenigsten einen kleinen Einblick.

Weil die Fischereilobby einen großen Einfluss hat

Im Gegensatz zu den Umweltverbänden haben große Fischereiunternehmen häufig Zugang zu den entscheidenden Verhandlungen. So können sie ihren eigenen wirtschaftlichen Interessen Nachdruck verleihen und den Ausgang der Verhandlungen beeinflussen. Dieser Vorwurf wird immer vehement abgestritten doch Tatsache ist, dass u.a. der Präsident des Deutschen Fischereiverbandes, Dr. Gero Hocker, für die FDP Fraktion im Bundestag sitzt und der Fischerei-Gigant „Parlevliet & van der Plas“ immer wieder in der EU-Delegation für die Fangquoten-Verhandlungen mit Norwegen vertreten war.
 

Fischereikontrolle: Wird nach der Reform jetzt alles besser?

Stark bedroht: Der Schweinswal Schweinswale sind die einzigen heimischen Wale in der Ostsee und durch Fischerei stark bedroht.  (Alamy)

Um die Umsetzung von Gesetze sicherzustellen, braucht es Kontrollen und Sanktionen. Aber kaum irgendwo sonst ist die Überwachung, Kontrolle und Sanktionierung von Gesetzen so mangelhaft, wie auf und in unseren Meeren. Ihre schiere Größe und Abgelegenheit macht die Meere - vor allem die hohe See - zu einem fast unkontrollierten Raum. Illegale Fischerei macht heute zwischen 10 und 20 Prozent der weltweiten Fänge aus. In besonders betroffenen Regionen, wie z.B. der westafrikanischen Küste, liegt der Anteil an illegal gefangenem Fisch sogar bei bis zu 40 Prozent.

In der EU gibt es deswegen seit 2009 die "Fischerei-Kontrollverordnung", die gewährleisten soll, dass die Gesetze der GFP eingehalten werden. 2023 trat nach fünf Jahren der Reform die neue Fischerei-Kontrollverordnung in Kraft, die einen Großteil der vorherigen Schlupflöcher schließen soll. Was ist neu? Bis 2030 muss die gesamte EU-Fischereiflotte mit elektronischen Logbüchern und Satellitenortung ausgestattet sein. Schiffe, die aufgrund früherer Verstöße als besonders gefährdet eingestuft werden, kriegen eine zusätzliche Kameraüberwachung. Das bisher papiergestützte System für Fangdokumente wird bis 2026 auf ein digitales System umgestellt, damit Informationen und Warnungen viel schneller und EU-weit ausgetauscht werden können.

Grundschleppnetze in Schutzgebieten: Wie kann das sein?

Seenelken werden durch Grundschleppnetze zerstört. Seenelken: Grundschleppnetzfischerei zerstört die bunten und vielfältigen Lebensgemeinschaften auf dem Meeresboden.  (Wolf Wichmann)

In Deutschland steht fast die Hälfte der gesamten Meeresfläche unter Schutz. Diese Schutzgebiete sollen sicherstellen, dass besonders wertvolle und sensible Lebensräume und Arten vor menschlichen Einflüssen geschützt werden. Doch obwohl Fischerei eine der größten Bedrohungen für die marine Artenvielfalt ist, unterliegt sie selbst in den Schutzgebieten kaum einer Beschränkung.

Seit 2017 stehen die zehn Natura-2000-Gebiete in der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ; 12-200 Seemeilen) offiziell unter Schutz. Doch die effektiven Fischereiregelungen lassen weiter auf sich warten, die Fischerei mit Grundschleppnetzen ist bisher nur auf kleinen Teilgebieten verboten.

Für einen wirksamen Schutz von marinen Arten und Habitaten sind großflächige nutzungsfreie Schutzgebiete erforderlich, so wie sie vom BUND seit Jahren gefordert werden. Auf europäischer Ebene arbeitet der BUND zusammen mit seinem Dachverband Seas at Risk außerdem an einem Verbot für Grundschleppnetzfischerei in allen europäischen Meeresschutzgebieten.
 

Mehr zur Fischerei in Schutzgebieten

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Wer regelt die Fischerei in deutschen Schutzgebieten?

Während die Fischerei in den deutschen Küstengewässern allein von den Bundesländern geregelt wird, ist der Prozess für die Fischereiregelungen in den Schutzgebieten der AWZ deutlich komplizierter. Hier müssen sich alle EU Mitgliedstaaten, die ein wirtschaftliches Interesse in dem betroffenen Gebiet haben, zusammensetzen und einen gemeinsamen Vorschlag erarbeiten, der dann von der EU Kommission abgesegnet und vom EU Parlament beschlossen werden muss. Dieser Prozess ist extrem langwierig und führt häufig nur zu schwachen Ergebnissen voller Kompromisse.

Aber jedes Land trägt die Verantwortung für die Fischereischiffe, die unter der eigenen Flagge fahren. Deswegen muss Deutschland eigentlich eine Verträglichkeitsprüfung für seine Flotte machen, um zu prüfen, ob die Schutzgebiete durch die Fischerei gestört werden.

In wie vielen der deutschen Schutzgebiete darf gefischt werden?

In allen! Total verrückt: Eine Studie von 2018 fand heraus, dass in den Schutzgebieten der Nordsee sogar intensiver gefischt wird, als außerhalb der Schutzgebiete.  Aktuell gibt es nur einen ganz kleinen Fleck auf der Amrumbank, der vollständig für Fischerei geschlossen ist - ganze 48 km², das ist nicht einmal ein Prozent. In den weiteren Gebieten herrscht ein Flickenteppich, wo Grundschleppnetze nur in kleinen Teilen ausgeschlossen sind. 

Was passiert, wenn in Schutzgebieten nicht mehr gefischt wird?

Viele wissenschaftliche Studien der letzten Jahre haben untersucht, welche Auswirkungen ein Fischereiverbot in Schutzgebieten hat. Die Ergebnisse geben Grund zur Hoffnung: Die Fischbestände erholen sich und die Fische vermehren sich, werden größer und wandern über die Grenzen der Schutzgebiete hinaus (auch "spill-over Effekt" genannt). Davon profitieren nicht nur die Fische, sondern auch die Artenvielfalt des gesamten Gebietes und die Fischerei. Studien haben nämlich auch gezeigt, dass Fischer*innen in der unmittelbaren Nähe von Schutzgebieten mehr und größere Fische fangen.

Fischerei-Aktionsplan

2023 hat die EU einen Fischerei-Aktionsplan veröffentlicht, um die kritische Lage in den europäischen Meeren und der europäischen Fischerei zu beenden. Dabei handelt es sich um ein Gesamtpaket mit Maßnahmen zum Schutz und zur Wiederherstellung der Meeresökosysteme, um damit eine nachhaltige und widerstandsfähige Fischerei zu stärken. Dabei geht der Aktionsplan die dringlichsten Probleme der Fischerei an: die Zerstörung von Lebensräumen am Meeresboden, den Beifang von sensiblen Arten und der Eingriff in Laichgebiete und Kinderstuben von Fischen.

Um die Lebensräume und Artengemeinschaften am Meeresboden zu schützen, soll die Fischerei mit Grundschleppnetzen in Schutzgebieten bis 2030 schrittweise verboten werden. Die Länder sollen außerdem gefährdete Arten besser davor schützen als Beifang in den Fischernetzen zu streben. In der deutschen Nord- und Ostsee stehen dabei vor allem der vom Aussterben bedrohte Ostsee-Schweinswal, aber auch der Glattrochen  und der Europäische Aal im Fokus. Für Laichgebiete und Kinderstuben der gefährdeten Meerestiere sollen zusätzliche temporäre Schutzzonen eingerichtet werden und Fanggeräte angepasst werden, um den fatalen Beifang von Jungfischen zu reduzieren. Die Bundes- und Landesregierungen müssen bis jetzt einen Plan vorlegen, wie sie die Maßnahmen umsetzen wollen.

Die Fischereipolitik und das Fischereimanagement müssen sich wandeln:

  • Alle Fischereiaktivitäten müssen einer Umweltprüfung unterzogen werden, die neben Auswirkungen auf Lebensräume und Artengemeinschaften auch Klimafolgen einbezieht.
  • Fangquoten müssen in einem transparenten und fairen Prozess vor allem an Fischer*innen vergeben werden, die nachweislich mit schonenden Methoden arbeiten.
  • Fischereikontrolle durch REM, Kameras und unabhängige Beobachter*innen muss verstärkt werden, um eine lückenlose Nachverfolgung von Fängen zu garantieren.
  • Zerstörerische Fischereimethoden müssen grundsätzlich verboten und schädliche Subventionen beendet werden.
  • Um Fischpopulationen und Lebensräumen eine Möglichkeit zur Erholung zu geben, müssen mindesten 50 Prozent aller Schutzgebiete für die Fischerei gesperrt werden.
     

Neue Leitart: Moorfrosch

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Valeska Diemel

Fischerei-Expertin im BUND Meeresschutzbüro
E-Mail schreiben Tel.: Tel. (04 21) 7 90 02 36

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