Eine zunehmende Gefahr: Mikroschadstoffe in unseren Flüssen und Gewässern

Mikroschadstoffe – Arzneimittel, Kosmetika, Pestizide und sonstige Chemikalien – stellen eine erhebliche Gefahr für unsere Gewässer und unser Trinkwasser dar. Sie sollten darum gar nicht erst in die Umwelt gelangen. Die Bundesregierung muss endlich handeln und nicht nur reden!

In vielen Gewässern finden sich gefährliche Mikroschadstoffe; Foto: Hans / CC0 / pixabay.com In vielen Gewässern finden sich gefährliche Mikroschadstoffe.  (Hans / pixabay.com)

Immer mehr Mikroschadstoffe gelangen in unsere Gewässer. Sie bedrohen nicht nur die Tiere und Pflanzen in den Flüssen, Bächen und Seen. Die Schadstoffe gefährden auch das politische Ziel, unsere Gewässer bis 2027 in den geforderten "guten Zustand" gemäß der EU-Wasserrahmenrichtlinie zu versetzen. Zudem gelangen diese Chemikalien teilweise in das Grundwasser und von dort ins Trinkwasser. Das kann gefährlich werden.

Umwelteintrag von Mikroschadstoffen umfassend verhindern 

Der BUND fordert, dass grundsätzlich und vorrangig Maßnahmen an der Quelle ergriffen werden, damit Mikroschadstoffe erst gar nicht produziert und eingesetzt werden und so in die Umwelt gelangen. Zusätzlich müssen Kläranlagen mit einer weitergehenden Reinigung zur Eliminierung von Mikroschadstoffen (vierte Reinigungsstufe) ausgestattet werden. Dazu braucht es eine gesetzliche Grundlage etwa wie in der Schweiz (siehe die entsprechende Frage im nachfolgenden FAQ).

Fragen und Antworten zu Mikroschadstoffen

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Was sind Mikroschadstoffe?

"Mikroschadstoffe", "Spurenstoffe", "Mikroplastik", "Nanopartikel", "Mikroverunreinigungen"... All diesen Begriffen ist gemeinsam, dass sie (schädliche) kleinste Teilchen (meist) im Wasser bezeichnen. Es fehlt an einer einheitlichen Sprachregelung und klaren Definitionen. Die Begriffe Mikroschadstoffe, Mikroverunreinigungen und relevante Spurenstoffe werden oftmals synonym verwendet.  

Grundsätzlich gilt: Mikroschadstoffe sind Stoffe, die schon in sehr geringen Konzentrationen eine Gefahr für die aquatische Umwelt, d.h. Tiere und Pflanzen in Gewässern, darstellen.

Mikroschadstoffe können Arzneimittel, Röntgenkontrastmittel, Kosmetikprodukte, Haushaltschemikalien, Biozide und Pestizide sowie Industriechemikalien sein, die über verschiedene Eintragspfade in unsere Gewässer gelangen.  

Wie schaden Mikroschadstoffe der Umwelt?

Mikroschadstoffe sind oftmals persistent und bioakkumulativ, d.h. die Probleme, die jetzt schon bestehen, werden sich im Lauf der Zeit (bei unverändertem weiteren Eintrag) nur verschlimmern. Wird Grundwasser stark verschmutzt, ist die Trinkwasserversorgung gefährdet.

Studien zeigen, dass empfindliche Arten wie z.B. Eintagsfliegen, Stein- oder Köcherfliegen in Fließgewässern häufig bereits bei sehr geringen Konzentrationen von Mikroschadstoffen verschwinden – auch, wenn bestehende Grenzwerte eingehalten werden. Die bisherigen Grenzwerte bzw. die Art der Festlegung ist zu schwach, um diese für die Ökosysteme wichtigen Arten zu schützen.

Ein weiteres Problem ist, dass bestehende Grenzwerte keine Kumulationseffekte berücksichtigen: Die meisten Studien über die Auswirkungen von Substanzen auf Wasserorganismen erfassen lediglich die Wirkung eines Einzelstoffes. In Gewässern wirken jedoch meist mehrere Verbindungen gleichzeitig auf Flora und Fauna. Dazu zeigen Untersuchungen, dass Mischungen mehrerer Wirkstoffe schädlich sein können, selbst wenn die Einzelsubstanzen in derselben Konzentration keine negative Wirkung haben.

Wo kommen Mikroschadstoffe her?

Mikroschadstoffe gelangen hauptsächlich über direkte Einleitungen (Kläranlagen von Kommunen und Industrie), als auch durch diffuse Verschmutzungen, etwa aus der Landwirtschaft oder von Straßen, in die Umwelt. 

Die meisten Mikroschadstoffe und größten Mengen gelangen über kommunale Kläranlagen in die Gewässer. Das kommunale Abwasser beinhaltet unter anderem Medikamentenrückstände aus menschlichen Ausscheidungen (mehr als 90 Prozent) oder unsachgemäßer Entsorgung von Arzneimitteln. Es enthält zudem zahlreiche Haushaltschemikalien sowie Industriechemikalien aus einleitenden Gewerbe- und Industriebetrieben.

Was kann eine vierte Stufe an Kläranlagen leisten?

Konventionelle Kläranlagen, die mit einer mechanisch-biologischen Abwasserreinigung ausgestattet sind, sind nach dem heutigen Stand der Technik nicht darauf ausgelegt, Mikroschadstoffe gezielt aus dem Abwasser zu entfernen. Auch die dritte Reinigungsstufe zur Reduktion der Nährstoffbelastung mindert die Mikroschadstoffe nur unwesentlich.
Durch den Betrieb einer weiteren Stufe mit Aktivkohle oder Ozon oder einer Kombination von beiden Verfahren kann ein großer Teil der Mikroschadstoffe entfernt werden. Es gibt aber auch Stoffe, die wenig oder gar nicht entfernt werden, z. B. Röntgenkontrastmittel. Den vollständigen BUND-Beschluss zur vierten Reinigungsstufe bei Kläranlagen finden Sie hier.

Warum brauchen wir die vierte Stufe, obwohl der Verzicht auf gefährliche Chemikalien die radikalere Lösung wäre?

Ein erheblicher Teil der Mikroschadstoffe in Gewässern sind Arzneimittel oder deren Abbauprodukte. Wir können nicht erwarten, dass in nur wenigen Jahren diese durch umweltfreundliche Arzneimittel ersetzt werden können. Es ist eher zu befürchten, dass der Arzneimittelverbrauch durch die alternde Bevölkerung weiter ansteigen wird. Zudem sind in kommunalem gereinigtem Abwasser tausende Mikroschadstoffe als Molekülmassen erfasst. Bei einem großen Teil davon weiß man nicht, welche Stoffe das chemisch betrachtet sind, wo sie herkommen, welche Wirkung im Gewässer sie haben und wie ihr Eintrag verhindert werden kann. Es bedarf jahrzehntelanger Forschung, um dies aufzuklären. Eine vierte Stufe reduziert auch bisher unbekannte Mikroschadstoffe.

Macht die Einführung der vierten Stufe den Verzicht auf wassergefährdende Chemikalien überflüssig?

Nein, vierte Stufen können nicht 100 Prozent aller Schadstoffe eliminieren. Die Aufrüstung würde auch bei bestehendem politischen Willen (siehe Schweiz) Jahre dauern und aus Kostengründen in der Regel nicht die kleineren Kläranlagen betreffen. Ein Teil der Schadstoffe wird zudem bei Mischkanalisationen bei stärkeren Regenfällen direkt in die Gewässer ohne Reinigung eingeleitet.
 

Wie kann und soll die Aufrüstung der Kläranlagen finanziert werden?

Die vierte Stufe ist nicht so teuer, wie uns das einige Lobbygruppen weismachen wollen. In Baden-Württemberg, wo schon viele vierte Stufen erfolgreich laufen, wurden die jährlichen Zusatzkosten pro Einwohnerwert auf Beträge zwischen 2,90 Euro und 7,80 Euro ermittelt. (Kompetenzzentrum Spurenstoffe Baden-Württemberg (Hrsg.) (2020): Spurenstoffe im Abwasser - eine Handlungsempfehlung für Kommunen, Stuttgart;).

Der BUND hält die Kosten des Ausbaus und des Betriebs für moderat und grundsätzlich eine Finanzierung über die Abwassergebühren für akzeptabel. Daher wirbt er bei den Bürgerinnen und Bürgern für diese sinnvolle Ausgabe für den Umweltschutz. Zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger fordert der BUND von der produzierenden Industrie eine Mitfinanzierung nach dem Verursacherprinzip und eine staatliche Förderung.

Wie sollte eine gesetzliche Regelung analog zum Schweizer Modell in Deutschland aussehen?

In einem Beschluss des Bundesvorstands vom April 2021 setzt der BUND sich dafür ein, eine gesetzliche Regelung ähnlich wie in der Schweiz zu finden, wonach die Betreiber aller großen und mittelgroßen Kläranlagen in Deutschland verpflichtet werden, schrittweise gemäß ökologischen oder den Trinkwasserschutz betreffenden Kriterien in einem festzulegenden Zeitraum eine vierte Reinigungsstufe zur Spurenstoffelimination zu bauen. Auch kleinere Kläranlagen sollen ausgebaut werden, wenn die Trinkwassergewinnung betroffen ist, das entsprechende Gewässer ökologisch besonders wertvoll oder der Abwasseranteil dort besonders hoch ist. Solange es keine bundesweite gesetzliche Verpflichtung gibt, unterstützt der BUND die lokalen Initiativen in den Kommunen und Abwasserverbänden, die freiwillig eine vierte Reinigungsstufe betreiben wollen. Von den Bundesländern fordert der BUND, den Ausbau von vierten Stufen zu unterstützen, um die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie zu erreichen und im Einzelfall bei nachgewiesener Gewässerschädigung auch ordnungsrechtlich durchzusetzen. 

Die Vermeidung des Eintrags umweltgefährdender Chemikalien in den Abwasserstrom und andere Umweltmedien bleibt eine grundsätzliche und vorrangige Forderung des BUND. Beide Handlungsfelder Vermeidung und Abwassertechnik ergänzen sich und sind unverzichtbar. 

Der BUND setzt sich dafür ein, dass möglichst viele Fördergelder für den Bau von vier Stufen zur Verfügung stehen. Die vom BMU vorgeschlagene Einführung einer Spurenstoffabgabe als Bestandteil der Abwasserabgabe ist daher eine sinnvolle Maßnahme. Der im Referentenentwurf des BMU vorgesehene Abgabensatz mit einem jährlichen Aufkommen aus den kommunalen Kläranlagen in Höhe von 60 Millionen Euro ist angesichts des notwendigen Investitionsvolumens allerdings viel zu gering und sollte um mindestens das zehnfache erhöht werden. 

Das Erreichen der Ziele der Wasserrahmenrichtlinie sowie der Biodiversitätsziele erfordert ein schnelles Handeln. Daher ist eine schnelle Einführung weiterer Abwasser-Reinigungsmöglichkeiten notwendig. Der Gesetzgeber wird daher aufgerufen, parallel zu deren Einführung Modelle zur Finanzierung nach dem Verursacherprinzip zu erarbeiten und umzusetzen. Der BUND hält die Kosten des Ausbaus und des Betriebs für moderat und grundsätzlich eine Finanzierung über die Abwassergebühren für akzeptabel. Daher wirbt er bei den Bürgerinnen und Bürgern für diese sinnvolle Ausgabe für den Umweltschutz. Der BUND fordert darüber hinaus eine staatliche Förderung. 

Das ist alles ganz schön theoretisch. Könnt ihr mal ein konkretes Beispiel geben?

Aber sicher doch. Ein Beispiel für einen Mikroschadstoff ist das Schmerzmittel Diclofenac, das u.a. als "Voltaren" im Handel erhältlich ist. "Voltaren" wird breitflächig als Schmerzsalbe beworben und benutzt oder als Tablette eingenommen. Der größte Anteil der Salbe wird bei der anschließenden Dusche ins Abwasser gespült oder mit dem Urin wieder ausgeschieden. Er kann nicht von der Kläranlage entfernt werden und landet im Gewässer, wo er Fische und Gewässerorganismen erheblich schädigt.

Verbraucher*innen ist dies nicht bewusst – die intensiv beworbene Salbe ist rezeptfrei erhältlich und auf dem Beipackzettel findet sich kein Hinweis zur Gewässerschädlichkeit des Stoffes.

Der BUND fordert deswegen, zu prüfen, ob gewässerschädliche Stoffe nicht durch ungefährliche ersetzt werden können. Ist dies nicht sofort möglich, muss bei Medikamenten mittels Rezept- und Verschreibungspflicht, Werbeverboten und einer klaren, warnenden Kennzeichnung des Produkts als "gewässerschädlich" der übermäßigen und unsachgemäßen Anwendung vorgebeugt werden. Nur so haben die Verbraucher*innen die Möglichkeit, eine bewusste, gewässerfreundlichere Entscheidung zu treffen.

Wie kann ich Mikroschadstoffe vermeiden?

Zurzeit sind weltweit etwa 120 Millionen chemische Substanzen gemeldet. Doch es gibt auch jede Menge Gelegenheiten, diese zu vermeiden und durch Alternativen zu ersetzen, die biologisch abbaubar sind oder durch Kläranlagen gefiltert werden können. Hier nur einige Beispiele, wie Sie unseren Gewässern helfen können:

Haushalt

  • Weniger Chemie und mehr Hausmittel: Überlegen Sie generell, bevor Sie zu einem chemischen Produkt greifen, ob es sich nicht durch ein Hausmittel wie z.B. Zitronensäure, Essig oder Natron ersetzen lässt.
  • Bei Putzmitteln ist weniger mehr: Verzichten Sie auf antibakterielle Reinigungsmittel. Reinigen Sie WC, Bad und Küche mit milden Allzweckreinigern, Schmierseife, Essig oder Alkohol. Als Faustregel gilt: Je spezieller ein Reinigungsmittel, desto schädlicher ist es.
    Auch bei Kosmetikprodukten gilt: lieber natürlich. Die Inhaltsstoffe von aufgetragenen Kosmetikprodukten werden letztendlich beim Duschen in unsere Abwässer geleitet und von dort in die Gewässer. "Natürlich" bedeutet: biologisch gut abbaubare Produkte.
  • Verzichten Sie möglichst auf Kochgeschirr mit Antihaftbeschichtung. Die eingesetzten fluorierten Verbindungen wie Teflon lösen sich mit der Zeit und gelangen ins Abwasser. Verwenden Sie stattdessen Koch-Geschirr aus Emaille, Edelstahl oder Gusseisen.
  • Vermeiden Sie auch den Gebrauch von teflonhaltigem Kettenspray für Ihr Fahrrad oder Motorrad.
  • Achten Sie beim Kauf von Regen- und Outdoorbekleidung auf eine PFC-freie Beschichtung.  

Medikamente

  • Sprechen Sie mit Ihrem Arzt oder Apotheker über Alternativen und informieren Sie sich über die korrekte Anwendung der Medikamente. 
  • Entsorgen Sie keine Medikamente über die Toilette oder Spüle. In den meisten Fällen können Medikamente und Arzneimittel in der Restmülltonne entsorgt werden, in speziell dafür vorgesehenen mobilen Schadstoff-Sammelstellen oder in Recyclinghöfen. Auch bieten Apotheken die Rücknahme von Medikamenten auf freiwilliger Basis an. Mehr dazu...

Bauen und Renovieren

  • Bei Neubau oder Renovierung sollten Sie natürliche Materialien wie Holz, Fliesen oder Kork bevorzugen. Es empfiehlt sich außerdem, bei der Wahl des Bodenbelags auf Gütesiegel zu achten. So reduzieren Sie möglichst viel synthetische Chemie bei der Produktion der Materialien.

Garten und Landwirtschaft

  • Essen Sie Bio-Lebensmittel: In der ökologischen Landwirtschaft kommen weniger umweltschädliche synthetisch produzierte Stoffe zum Einsatz. Das verringert die Belastung der Gewässer.
  • Weniger Chemie im Garten: Mancher Hobbygärtner greift zum Allround-Pflanzenkiller "Roundup" oder anderen Pestiziden aus dem Baumarkt oder Gartencenter, damit Rasen und Beete schön ordentlich und unkrautfrei erstrahlen. Bei Stichproben wurde der in "Roundup" enthaltene Schadstoff Glyphosat im Urin von Großstädtern aus 18 europäischen Ländern nachgewiesen. 70 Prozent aller Proben in Deutschland sind belastet. So gelangt der Stoff wieder in unser Abwasser und schließlich in die Gewässer. Giftige Pestizide haben in unseren Körpern und Gärten nichts zu suchen und müssten auch nicht sein! So gärtnern Sie umweltbewusst.

Die Bundesregierung muss handeln

Im Dialogprozess des BMU werden Mikroschadstoffe beschönigend als "Spurenstoffe" bezeichnet. In diesem Prozess wird zeitaufwendig darüber geredet, welche Mikroschadstoffe relevant sind und dann runde Tische eingerichtet, die Maßnahmen vorschlagen sollen. In den fünf Jahren seit dem Beginn des Spurenstoffdialogs wurden nur fünf Mikroschadstoffe als relevant erklärt und für drei davon runde Tische eingerichtet. Konkrete Maßnahmen gibt es noch nicht.

Notwendig wären Reduktionsmaßnahmen für hunderte von Mikroschadstoffen und staatliche Vorschriften dafür. In den runden Tischen verhindern die vielen beteiligten Industrievertreter ernsthafte Maßnahmen. Der Prozess ist viel zu langsam und zu wenig ambitioniert. Nur schnelle und konsequente Minderungsmaßnahmen bei einem gleichzeitigen Ausbau der vierten Reinigungsstufen für Kläranlagen können das Problem in den Griff bekommen.

Auen entdecken!

Schwarzstorch; Foto: D. Damschen Zur Auentour-App

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