Atomausstieg in Deutschland

Nach vielen Jahrzehnten Widerstand ist es geschafft. Die letzten Atomkraftwerke (AKW) in Deutschland wurden am 15.4. abgeschaltet. Ein großer Erfolg der Anti-Atom-Bewegung, in der sich auch der BUND stark engagiert hat. Doch es gibt noch viel zu tun bis zum Ende des Atomzeitalters.

Anti-Atom-Bewegung: 60 Jahre Widerstand

Demonstration gegen das AKW Wyhl in Weisweil Mitte der 1970er Jahre  (Axel Mayer)

Mit dem Abschalten von Neckarwestheim 2, Emsland und Isar 2 gehen nach über 60 Jahren Atomstromproduktion in Deutschland die letzten Atomkraftwerke vom Netz. Damit endet die gefährliche, teure und nicht nachhaltige Stromproduktion durch die Hochrisikotechnologie.

Betrachtet man die Geschichte der Atomkraft in Deutschland ist das ein riesiger Erfolg. In den 1970er Jahren kursierten Pläne, 500 Atomkraftwerke und Atomanlagen in Deutschland zu bauen. Das Engagement und der Protest vieler Menschen hat das verhindert. Auch der BUND mit seinen bundesweit tätigen Aktiven ist seit vielen Jahrzehnten Teil der Anti-Atomkraft-Bewegung. Gemeinsam haben wir uns gegen die Atomkraft gestemmt und für eine erneuerbare Energieproduktion eingesetzt. Doch wir sind noch lange nicht am Ziel auf dem Weg zu einer fossil- und nuklearfreien Welt. 

Wir haben Meilensteine der Anti-Atom-Bewegung in dieser Chronik zusammengefasst:

Alle Beiträge auf- oder zuklappen
1950-1960: Atom-Euphorie und erste kritische Stimmen

Die ungebremste Fortschritts- und Technikgläubigkeit der Nachkriegszeit erfasste auch die Atombranche. Zahlreiche, aus heutiger Sicht absurde Ideen, wie Atomautos, Atom-Flugzeuge oder Mini-AKWs fürs private Eigenheim wurden diskutiert. 1955 wurde Franz-Joseph Strauß Atomminister. Unter ihm wurde die Atomforschung vorangetrieben und erste Reaktoren gebaut. Die Hoffnung auf vermeintlich sichere, saubere und unendliche Energie ist von der damaligen Regierung mit dem Wunsch verbunden, Zugriff auf die Atomwaffen-Technologie zu bekommen.
So sind bereits in den Anfängen der deutschen Atompolitik trotz breiter Euphorie auch kritische Stimmen zu hören. Nicht nur Energiekonzerne und einige Parteien sind skeptisch, auch Bürger*innen und Expert*innen sehen die Gefahren der Atomkraft und warnen vor der militärischen Nutzung.

1960-1970: Idaho, Kahl und Würgassen – Erste Widerstände werden lauter

Zu Beginn der 1960er Jahre wurde der Protest gegen Atomkraft vor allem in den USA immer größer. 1961 kam es im US-amerikanischen Siedewasser-Reaktor in Idaho Falls zu einem schweren Unfall, bei dem große Mengen radioaktiven Materials freigesetzt wurden. Dabei starben drei Menschen. Dieser Vorfall ist nur einer von vielen Stör- und Unfällen, die bereits vor der Katastrophe von Tschernobyl passierten.

Erstes kommerzielles AKW in Deutschland

In der Bundesrepublik ging 1961 das erste kommerzielle Atomkraftwerk im bayrischen Großwelzheim (AKW Kahl) in Betrieb. Der bereits knapp 20 Jahre später begonnene Rückbau des AKW dauerte deutlich länger als der Betrieb und verschlang mehr als 150 Millionen Euro. In der DDR ging in den 1969 in Rheinsberg das erste kommerzielle AKW in Betrieb. Durch einen Störfall im Jahr 1987 wurde im Bereich des AKW Rheinsberg das Grundwasser radioaktiv kontaminiert.
Im Jahr 1965 wurde das marode Bergwerk Bartensleben in Sachsen-Anhalt als Endlager Morsleben bestimmt. Auf der anderen Seite der Grenze wurde in der BRD im selben Jahr damit begonnen, im ungeeigneten Salzbergwerk Asse Atommüll einzulagern.

Widerstand wächst

Im Jahr 1968 wurde der Widerstand gegen Atomkraftwerke in Deutschland größer. In Würgassen gehen Gegner*innen erstmals juristisch gegen ein geplantes AKW vor. Sie erreichen damit eine Gesetzesänderung. Der gleichberechtigte Zweck des Atomgesetzes ist nun auch die Gewährleistung der Sicherheit. 
1969 gründet der Amerikaner David Brower mit mehreren Mitstreiter*innen Friends of the Earth und setzt sich vehement gegen Atomkraft ein. Der später gegründete BUND wird 1989 Teil der internationalen Umwelt- und Naturschützer*innen. Browers weist schon früh auf die großen Gefahren hin: “Every step of the nuclear fuel cycle is a disaster. Nuclear energy is one of our great mistakes. One of our challenges is to put the nuclear genie back in the bottle.”

1970-1980: Wyhl, Gorleben und Harrisburg – Atomproteste nehmen zu

Wyhl: Erfolgreiche Proteste am Kaiserstuhl

In Baden-Württemberg feierte die Anti-AKW-Bewegung Anfang der 1970er Jahre ihren ersten Erfolg. 1972 wurde im benachbarten Frankreich der Bauplatz des AKW Fessenheim durch französische, deutsche und Schweizer Bürger*innen besetzt. Auch in Deutschland protestieren Student*innen, Winzer*innen und Bäuer*innen gegen die AKW-Pläne. Mit ihrer Parole „Nai hämmer gsait!“ und zivilem Ungehorsam verhinderten sie den Bau eines Atomkraftwerks in Baden-Württemberg. 1975 kamen knapp 30.000 Menschen zum Bauplatz ins baden-württembergische Wyhl. Wenige Monate später wurde der Bau gestoppt. Der Protest in Wyhl ist der Beginn der Massenproteste und einer immer größer werdenden Anti-Atom-Bewegung. 
Im Zuge der Proteste gründen sich bundesweit Bürgerinitiativen und lokale Aktionsgruppen. Einige davon sind Vorläufer der späteren BUND-Ortsgruppen. 1975 gründet sich der BUND-Bundesverband und setzte sich von Beginn an gegen Atomkraft und für eine nachhaltige Energieversorgung ein. 1976 ist der BUND gemeinsam mit lokalen Umweltinitiativen Mitveranstalter der ersten Öko-Messe Deutschlands. Auf den Sonnentagen in Sasbach wurden erneuerbare Energien und Energiesparmaßnahmen als Alternativen zur Atomkraft vorgestellt. 

Grohnde, Kalkar und Gorleben – Widerstand gegen den Ausbau der Atomenergie

Auch in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen wurden Bauplätze besetzt und mit kreativen Aktionen gegen den Bau von Atomkraftwerken und der Errichtung eines nuklearen Entsorgungszentrums in Gorleben protestiert. Zehntausende Menschen gehen etwa in Brokdorf, Grohnde oder Kalkar auf die Straße. Bei den Anti-AKW-Protesten kommt es oft zu blutigen Auseinandersetzungen mit massiver Polizeigewalt. Politik und Industrie wollen mit aller Macht ihre Atompolitik durchdrücken. 1977 rissen zwei Stromleitungen, die vom AKW Gundremmingen A wegführten. In der Folge trat stark radioaktives Wasser aus dem Reaktor aus und verseuchte das Gelände stark. Eine Sanierung rechnete sich nicht mehr.

Massenproteste gegen Atomkraft 

Im März 1979 kommt es im US-amerikanischen AKW Three Mile Island in Harrisburg zu einem schweren Unfall mit einer teilweisen Kernschmelze. Radioaktive Gase entweichen und Kühlflüssigkeit kontaminiert den nahegelegenen Fluss. 140.000 Menschen verlassen die Gegend. Zeitgleich findet in Hannover das internationale Gorleben-Symposium statt, bei dem Sicherheitsfragen zu Wiederaufarbeitung und Atommülllagerung kritisch diskutiert werden. Vor der Tür stand der Gorleben Treck, der sternförmig aus ganz Niedersachsen mit Traktoren nach Hannover gekommen war. 100.000 Menschen demonstrierten gegen die Atomkraft – die bisher größte Demo in der Bundesrepublik. Noch einmal so viele Menschen kommen zur Demo im Bonner Hofgarten. Der politische Druck wurde so groß, dass die niedersächsische Landesregierung die Wiederaufbereitungsanlage aufgab. Am „Endlager“ sollte aber festgehalten werden. Ein erster großer Erfolg der Bewegung. Auch der BUND reihte sich in die Proteste ein. Die anfänglich in einigen Gruppen und Landesverbänden positive Einstellung zur Atomenergie kippte durch die Eindrücke von Harrisburg sehr schnell. In unmittelbarer Nähe zu Gorleben entsteht die BUND Kreisgruppe Lüchow-Dannenberg. Ab 1980 ist der BUND bundesweit fester Bestandteil der Anti-AKW-Bewegung. Gemeinsam mit Bürgerinitiativen, Aktionsgruppen und anderen Organisationen hat sich der BUND gegen Gorleben, Atomkraftwerke und Wiederaufbereitungsanlagen gestemmt.

1980-1990: Brokdorf, Wackersdorf und Tschernobyl: Massenproteste

Ab Mai 1980 wird in Gorleben die „Republik Freies Wendland“ als Protest gegen die Arbeiten am Atommülllager ausgerufen. Im Jahr 1981 kommt es am AKW Brokdorf zu einer der größten Anti-AKW-Demonstrationen. 100.000 Menschen aus ganz Deutschland nehmen trotz Verbot an dem Protest teil. Auch viele BUND-Aktive sind vor Ort. Die Polizei versucht mit Gewalt die Demonstration zu verhindern und verletzt zahlreiche Demonstrant*innen zum Teil schwer. Nachdem eine Wiederaufbereitungsanlage (WAA) erfolgreich in Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Hessen verhindert wurde, wird Anfang der 1980er bekannt, dass in der Nähe des bayrischen Schwandorf die WAA Wackersdorf entstehen soll. Sofort kommen Tausende Menschen zusammen und protestieren gegen die Anlage. Der Widerstand wird über Jahre immer größer und über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Viele Protestierende erleben Polizeigewalt, werden verhaftet und müssen Hausdurchsuchungen über sich ergehen lassen. Trotzdem kommen an Ostern 1986 100.000 Menschen zusammen. Auch beim Anti-WAAhnsinn-Festival im Juli 1986 protestieren Hunderttausende gegen Atomkraft. Beim Erörterungstermin zur WAA Wackersdorf im Jahr 1988 füllen allein die Einwendungen des BUND Naturschutz Bayern BN 18 Aktenordner. Das Projekt wurde 1989 endgültig eingestellt. Der BUND Naturschutz (BN) und spätere BUND-Vorsitzende Hubert Weinzierl, der BN-Energiereferent und Atomphysiker Dr. Ludwig Trautmann-Popp, der BUND Ehrenvorsitzende Hubert Weiger und viele weitere Aktive waren häufige Gäste in Wackersdorf. Im Dezember 1985 feierte Hubert Weinzierl am Bauzaun seinen 50. Geburtstag und servierte nach eigener Aussage die, wegen des Polizeiaufgebots, „bestbewachte Geburtstagstorte der bundesdeutschen Geschichte“.

Super-GAU in Tschernobyl

Im April 1986 kommt es zum Super-GAU im Atomkraftwerk Tschernobyl (damalige Sowjetunion, heute Ukraine). Ein Unfall, der nach Ansicht der Atomindustrie gar nicht möglich war. Die Folgen dieses Unfalls sind fatal. Über 300.000 Menschen müssen ihre Heimat verlassen. Tausende Menschen werden verstrahlt. Viele sterben oder leiden noch heute an den Spätfolgen. Auch in Deutschland kommt der radioaktive Staub durch die Wetterlage an. In der DDR führt der Super-GAU in Tschernobyl zu Protesten. In Stendal  wird gegen den Neubau eines  AKW vor Ort demonstriert. Im Süden der DDR wird auf die enorme Umweltverschmutzung durch den Uranbergbau in der Wismut hingewiesen. In der BRD wachsen die Proteste gegen Atomkraft weiter an und es entsteht eine organisierte kritische wissenschaftliche Expertise. Im Dezember 1987 tritt im AKW Biblis A durch ein defektes Ventil radioaktives Kühlwasser aus. Nur durch Glück gelingt es, das Kontrollventil gegen den hohen Druck wieder zu schließen und einen größeren Verlust von Kühlmittel zu vermeiden. Ein Kühlmittelverlust kann zur Kernschmelze und damit zum Super-GAU führen.

Gründung der Alternativen Strahlenkommission

Der BUND reagiert auf den Wunsch der Bevölkerung nach unabhängigen Informationen mit der Gründung der „‚alternativen Strahlenkommission“ und bringt angesehene Wissenschaftler*innen der verschiedensten Disziplinen zusammen. Das bisher der Öffentlichkeit vorenthaltene Datenmaterial zu Tschernobyl wird veröffentlicht und wissenschaftlich bewertet. Dabei wird insbesondere auf die Auswirkungen der radioaktiven Belastung für Menschen, Pflanzen und Tiere eingegangen. In der Öffentlichkeit wird die alternative Strahlenkommission schnell zur gefragten Beratungsstelle. Die Telefone standen nicht mehr still. Die BUND-Landesverbände organisierten erfolgreich Informationsveranstaltungen und intensivierten die Öffentlichkeitsarbeit. Einige Landesgeschäftsstellen richteten Telefondienststellen ein und produzierten in kürzester Zeit Informationsmappen zur Tschernobyl-Katastrophe. Der Protest gegen Atomkraft wurde noch größer. In Rheinland-Pfalz verschärfte sich der Kampf gegen das geplante AKW Mülheim-Kärlich, im Saarland wurde gegen das französiche Atomkraftwerk Cattenom protestiert und in Bayern stellte der BUND Naturschutz 50.000 DM für die Aktion „Ausstieg aus der Atomenergie“ bereit. Die Glaubwürdigkeit des BUND war historisch an einem Höhepunkt angekommen. Mit der Unterstützung der Klage gegen das AKW Mühlheim-Kärlich trug der BUND gemeinsam mit vielen Unterstützer*innen aktiv zur schnellen Abschaltung des AKW bei. 

Militärische Nutzung der Atomkraft

Anfang der 1980er kam die Verbindung von ziviler und militärischer Nutzung der Atomkraft als ein neues Leitmotiv der Anti-Atomkraft-Bewegung hinzu. Proteste gegen Aufrüstung, NATO-Doppelbeschluss und nukleare Teilhabe wurden auch im Kontext der zivilen Nutzung der Atomkraft aufgenommen. 1981 demonstrierten knapp 300.000 Menschen bei der bis dahin größten Demonstration der BRD in Bonn für den Frieden und gegen Atomraketen. Auch im BUND beschäftigte man sich mit der atomaren Abrüstung und friedenspolitischen Themen und stärkte die inhaltliche Übereinstimmung und Zusammenarbeit von Ökologie- und Friedensbewegung. 1983 positionierte sich der BUND dazu öffentlich. Diese enge Verbindung besteht noch heute. Der BUND ist seit 2023 Mitglied der internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen und setzt sich gegen die zivile und militärische Nutzung der Atomkraft ein. 

Hanauer Atomdorf: Fehlende Genehmigung, Schmiergelder und strahlendes Erbe

Die Stadt Hanau wurde in den 1980er Jahren zum größten europäischen Standort für Atomfabriken – das Hanauer „Atomdorf“. Mehrere Brennelementefabriken sollten deutsche Forschungs- und Leistungsreaktoren mit Brennstäben versorgen und den Wunschtraum eines „geschlossenen Brennstoffkreislaufs“ ermöglichen. Dabei wurde auch hochgefährliches Plutonium verarbeitet und Anlagen zum Teil gänzlich ohne Genehmigung betrieben. 1987 wurde bekannt, dass jahrelang Atommüll illegal nach Belgien transportiert wurden und dafür Schmiergelder in Millionenhöhe geflossen sind. Die Politik schaute lange zu und erst nach und nach wurden Fabriken geschlossen und das Plutonium-Lager geräumt. Der BUND hat von Anfang energisch gegen das Atomdorf protestiert: Insbesondere Elmar Diez, Anti-Atom-Pionier und Mitglied im BUND Landesverband Hessen und Eduard Bernhard, der unter anderem im Bund Naturschutz aktiv war, haben maßgeblich zur Aufklärung des Skandals und zur Schließung der Atomanlagen beigetragen. Die Sanierung des Geländes ist aufwendig und kostenintensiv, da Schadstoffe und Chemikalien in den Untergrund eingedrungen sind – sie dauert noch immer an. 

1990-2000: Castortransporte führen zu erneutem Protest

Anfang 1990 werden durch die Berichterstattung des Spiegels die großen Gefahren bekannt, die vom AKW Greifswald ausgehen. Seit der Inbetriebnahme 1973 gab es zahlreiche Störfälle und größere Pannen. Nur mit Glück ist die DDR an einem Super-GAU vorbeigeschlittert. Proteste vor Ort und in Berlin tragen dazu bei, dass bis Ende 1990 alle Blöcke des AKW stillgelegt werden. Auch das sich im Bau befindliche AKW Stendal wird aufgrund des Widerstandes von Anwohner*innen 1991 aufgegeben. Anfang der 1990er wird eine Häufung von Leukämiefällen in der Nähe des AKW Krümmel festgestellt. Kritische Wissenschaftler*innen, unter anderem die langjährige stellvertretende Vorsitzende der BUND Atom- und Strahlenkommission (BASK), Prof. Dr. Inge Schmitz Feuerhake, machen auf diese Gefahren aufmerksam. Gleichzeitig beginnt das Genehmigungsverfahren für das „Endlager“ für schwach- und mittelradioaktive Abfälle im Schacht Konrad bei Salzgitter. Der BUND Niedersachsen sammelt gemeinsam mit der BUND Kreisgruppe allein über 30.000 Einwendungen gegen das marode und ungeeignete Atommülllager.

Tag X

Im April 1995 kam es zum ersten Tag X. Erstmals rollen Castoren zum damals geplanten „Endlagerstandort“ Gorleben. Zahlreiche Proteste begleiten den Zug; auch bei den folgenden Castortransporten ist der Widerstand groß. Viele Aktive des BUND stemmen sich im Wendland gemeinsam mit den Menschen vor Ort gegen die Transporte.  
Zwischen 1994 und 1998 werden unter Angela Merkel als Bundesumweltministerin weiter Abfälle in das marode „Endlager“ Morsleben eingelagert. Erst eine Klage des BUND, der Bürgerinitiative Morsleben und Greenpeace stoppte die weitere Einlagerung. Seitdem wird die sichere Stilllegung verschleppt. 1998 wird zudem bekannt, dass Castoren über mehrere Jahre an der Außenseite über die Grenzwerte hinaus verstrahlt sind und eine Gefahr für Menschen darstellen. Es kommt zu einem Transport-Moratorium. 

2000-2010: Ausstieg und Laufzeitverlängerungen

Im Jahr 2000 verkündet die rotgrüne Bundesregierung das schrittweise AKW-Aus. Mit einer Festlegung von Reststrommengen soll der Ausstieg innerhalb von etwa 20 Jahren vollzogen sein. Von den westdeutschen Atomkraftwerken wurden nach dem rot-grünen Atomkonsens die beiden AKW Obrigheim (2003) und Stade (2005) vom Netz genommen. Ab 2005 werden Transporte von abgebrannten Brennelementen zur Wiederaufbereitung im Ausland verboten. Ein großer Teilerfolg für die Anti-Atom-Bewegung und auch für den BUND. Die damalige BUND-Vorsitzende Angelika Zahrnt mahnt jedoch, dass der beschlossene Ausstieg zu langsam gehe und ein „Geschenk an die Atomindustrie“ sei. Im September 2010 wurde dieser „Atomkonsens“ von der schwarz-gelben Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel aufgelöst. Die Laufzeiten der einzelnen AKW wurden um acht beziehungsweise 14 Jahre verlängert. Die Anti-Atom-Bewegung ist darauf gut vorbereitet und mobilisiert gegen die unverantwortliche Laufzeitverlängerung. Der BUND und viele andere Initiativen organisieren bundesweit Demonstrationen und Menschenketten mit über hunderttausend Teilnehmer*innen. In Berlin kommen 100.000 Menschen zusammen, 120.000 Menschen bilden eine Kette zwischen dem AKW Krümmel und Brunsbüttel und 50.000 Menschen demonstrieren in München.

Atommülllager Asse

Das Atommülllager Asse säuft ab. Seit Ende der 1980er Jahre läuft Wasser in die Grube. Nun wird erstmals öffentlich das Ausmaß der Katastrophe bekannt. Der Müll soll aufwendig geborgen werden. 

2010-2020: Fukushima und zweiter Atomausstieg

Im März 2011 ereignete sich ein schweres Erdbeben vor der Ostküste Japans. In der Folge traf ein Tsunami auf die Küste. Mehr als 20.000 Menschen starben, hunderttausende mussten ihre Heimat verlassen. Die bis zu 15 Meter hohen Wellen trafen auch das Atomkraftwerk Fukushima. Die Reaktoren wurden zum Teil mehrere Meter hoch überschwemmt, die Notstromaggregate fielen innerhalb weniger Minuten komplett aus. Eine Unfallserie mit mehreren Kernschmelzen war die Folge. Dabei wurden erhebliche Mengen radioaktiver Stoffe freigesetzt. Die Bundesregierung setzte eine Ethikkommission ein, an der auch die BUND-Ehrenvorsitzende Angelika Zahrnt teilnimmt. Der BUND organisiert in München, Köln, Hamburg und Berlin zusammen mit vielen anderen Initiativen Großdemonstrationen. Allein im April 2011 gehen über 250.000 Menschen auf die Straße. Schließlich lenkt die Regierung unter Angela Merkel ein und beschließt den Atomausstieg bis 2022. Acht Atomkraftwerke werden bereits 2011 abgeschaltet, der Rest soll schrittweise folgen. Für den BUND geht das viel zu langsam. So lässt der damalige BUND-Vorsitzende Hubert Weiger verlautbaren: „Wir fordern den Sofortausstieg, ja. Das heißt nicht morgen früh, aber sehr viel schneller als derzeit geplant. Wir kämpfen für eine Energiewende, die die Abschaltung des letzten AKW noch 2012 oder 2013 ermöglicht. Wer sagt „Die Gefahren der Atomkraft sind zu groß“, der kann doch nicht ein weiteres Jahrzehnt mit dem Super-GAU-Risiko leben wollen. Das wäre schizophren.“

Wohin mit dem Atommüll? 

Nach dem beschlossenen Ausstieg rückt vor allem die Frage nach dem Umgang mit dem Atommüll in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion. Die Regierung initiiert 2013 ein neues Standortauswahlgesetz und richtet eine Kommission ein. Die Atomkonzerne kaufen sich mit einer viel zu niedrigen  Einmalzahlung von ihrer Verantwortung um den Müll frei. Gorleben bleibt weiter als mögliches "Endlager" im Rennen, allerdings werden 2012 die Erkundungsarbeiten gestoppt. Die Atommüll-Kommission stößt auf große Kritik und wird in der Anti-Atom-Bewegung als Scheinbeteiligung abgelehnt.
Der BUND hat sich nach langer und kontroverser Debatte an der Atommüll-Endlager-Kommission beteiligt. Er entsendete seinen damaligen stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden Klaus Brunsmeier. Als einziges stimmberechtigtes Mitglied hat der BUND den Abschlussbericht der Kommission abgelehnt und ein Sondervotum zum Bericht veröffentlicht. Gleichzeitig wird der Bundesarbeitskreis Atom im BUND eingesetzt. Der BUND begleitet das Suchverfahren weiter kritisch konstruktiv. BUND-Vorsitzender Olaf Bandt mahnt, dass das Atommüllproblem weiter in den Zwischenlagern schwelt und die Atomfabriken in Gronau und Lingen unbegrenzt weiterlaufen dürfen. Es brauche so schnell wie möglich einen vollständigen Atomausstieg.

ab 2020: Streckbetrieb, AKW-Aus und unvollendeter Atomausstieg

Gorleben wird kein „Endlager“

Im September 2020 schließt die Bundesgesellschaft für Endlagerung mbH (BGE) den ersten Schritt der Suche nach einem Standort für ein sogenanntes „Endlager“ ab. Gorleben scheidet aus, weil es geologisch nicht geeignet ist. Das Ende Gorlebens ist ein großer Erfolg der Anti-AKW-Bewegung und der wissenschaftlichen Arbeit des BUND.

Rolle rückwärts: Entscheidung für Streckbetrieb

Eigentlich hätte die Atomkraft in Deutschland an Silvester 2022 Geschichte sein müssen. Doch statt die letzten drei AKW wie geplant Ende 2022 abzuschalten, laufen sie bis zum 15. April 2023 im sogenannten Streckbetrieb weiter. Der BUND mobilisiert gemeinsam mit anderen Initiativen gegen die Laufzeitverlängerung und setzt sich für einen vollständigen Atomausstieg ein. Denn auch mit dem Abschalten der AKW ist das Atomzeitalter noch nicht vorbei. Der Atommüll steht in unsicheren Zwischenlagern und die „Endlager“-Suche verzögert sich weiter. Zudem laufen Uranfabriken in Gronau und Lingen sowie der Forschungsreaktor in Garching mit waffenfähigem Uran.  

Atomproteste durch die Jahrzehnte in Bildern

So war der Kampf gegen Atomkraft

Wir haben Zeitzeug*innen befragt, warum Sie sich gegen Atomkraft eingesetzt haben und was sie dabei erlebt haben. Was treibt sie auch heute noch um in Sachen Atomkraft?

BUND-Ehrenvorsitzender Hubert Weiger

Hubert Weiger schaut in die Kamera. Der BUND-Ehrenvorsitzende Hubert Weiger hat viele Jahrzehnte gegen Atomkraft gekämpft.  (Joerg Farys)

 „Der Einsatz für eine Zukunft ohne Atomkraftwerke war ein zentrales Motiv für die Gründung des BUND 1975. Der BUND hat seit dieser Zeit federführend in Deutschland für den sofortigen Ausstieg aus der Atomtechnologie gekämpft und hunderte von Demonstrationen und Aktionen dagegen organisiert. Schon vor der Reaktorkatastrophe in Fukushima haben wir massiv gegen die 2010 beschlossene Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke auch mit großen Demonstrationen gekämpft und zum Beispiel 2010 die Menschenkette mit 120.000 Teilnehmern vom AKW Brunsbüttel durch Hamburg zum AKW Krümmel mitorganisiert. Zufällig hatten wir am 12. März 2011 – einen Tag nach Fukushima – sowieso eine Menschenkette vom AKW Neckarwestheim nach Stuttgart geplant. Über Nacht wurden aus den erwarteten 40.000 Teilnehmern 60.000. Das waren mit die teilnehmerstärksten Anti-Atom-Aktionen seit 1980.“

Corinna Cwielag, Landesgeschäftsführerin BUND Mecklenburg-Vorpommern

Menschen auf einer Demonstration schwenken Atomkraft nein danke Fahnen. Corinna Cwielag demonstriert in Gorleben im Jahr 2011 gegen das geplante Endlager.

„In der Frage um die Zwischenlagerung von Atommüll erwartet uns offenbar eine zähe Auseinandersetzung im Interesse von Gesundheitsvorsorge und Sicherheit. 40 Jahre Haltbarkeit für einen Atommüllbehälter mit hochaktiven Atomschrott ist doch keine Sicherheit! Der Zeitraum ist ein Witz. Es ist für mich fast unfassbar, dass ein staatliches Atommüllzwischenlager wie in Lubmin nicht alle technischen Möglichkeiten für die Umlagerung oder Reparatur einplant. Wir müssen aber auch unsere Netzwerke in Europa nutzen um die Renaissance der Atomkraftnutzung aufzuhalten. Atomkraft kann die Klimaproblematik nicht lösen und schon gar nicht kostengünstig. Es ist doch unglaublich, dass sich dieser Irrweg in Polen, Frankreich oder Finnland etabliert.“

Klaus Brunsmeier, Mitglied im Vorstand des BUND NRW

Klaus Brunsmeier schaut in die Kamera und lächelt. Klaus Brunsmeier, Vorstandsmitglied des BUND NRW, auf einer Anti-Atom-Demo.

"Seit den 1970er Jahren habe ich mich im BUND unter dem Motto „Schützt uns – nicht die Atomkraft“ immer konsequent für den sofortigen Ausstieg aus der unbeherrschbaren Atomenergie eingesetzt. Den trotzdem in zwei Generationen entstandenen Atommüll habe ich nicht zu verantworten, sehe mich aber in der Pflicht –  auch gegenüber kommenden Generationen – daran mitzuwirken, dass mit dem Abfall verantwortungsvoll für Mensch und Umwelt umgegangen wird. Der breite politische und gesellschaftliche Konsens zur Beendigung der Nutzung der Atomenergie in Deutschland nach der verheerenden Katastrophe 2011 in Fukushima war Voraussetzung für mich, an einer Standortsuche zur Lagerung radioaktiver Abfälle mit bestmöglicher Sicherheit für den BUND in der Kommission „Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ des Deutschen Bundestages in den Jahren 2014-2016 mitzuarbeiten. Mit dem Standortauswahlgesetz 2017, das auf Basis des Kommissionsberichtes erstellt wurde, wurde ich vom Deutschen Bundestag in das Nationale Begleitgremium berufen. Dessen Aufgabe ist es, das Standortauswahlverfahren unabhängig und vermittelnd zu begleiten, wie es im Gesetz lautet: „Mit dem Ziel, so Vertrauen in die Verfahrensdurchführung zu ermöglichen“. Wie wichtig die weitere Begleitung ist, zeigte sich schnell, denn unter dem Eindruck des Ukrainekrieges und der Energieversorgung wurde der Konsens zur Beendigung der Nutzung der Atomkraft in Deutschland nun tatsächlich nochmal in Frage gestellt."

Warum unsere Arbeit gegen Atomkraft weiter geht:

Die letzten AKW sind vom Netz. Endlich. Doch die Gefahr schwelt weiter. Zum Beispiel in 16 unzu­rei­chend gesicherten Zwischenla­gern für hochradioaktive Ab­fäl­le. In Lingen und Gronau werden weiterhin Brennstoffe für ausländische AKW produziert.

Der BUND setzt sich weiter ein: gegen die Atomlob­by, für sichere Zwischenla­ger und ein Ende der Brennelemente-Produktion! Ihre Spende hilft dabei.

Atomausstieg nicht vollendet

BUND-Mitarbeiter demonstrieren vor dem Reichstag gegen Atomkraftwerke. Alle AKW abschalten! Der BUND demonstriert im Jahr 2022 gegen die Laufzeitverlängerung.  (Florian Boillot)

Die Anti-Atom-Bewegung hat mit dem Abschalten der AKW einen riesigen Erfolg erzielt. Aber auch nach dem Aus für AKW laufen Atomanlagen in Deutschland weiter. In der Brennelementefabrik in Lingen werden weiter unbegrenzt Brennstoffe für ausländische AKW produziert. In Gronau wird angereichertes Uran hergestellt und ebenfalls exportiert, um in europäischen Schrottreaktoren als Brennstoff genutzt zu werden. In Garching bei München wird ein Forschungsreaktor mit atomwaffenfähigem Uran betrieben. Im Rahmen der nuklearen Teilhabe sind sogar Atomwaffen in Deutschland stationiert. Deutschland bleibt also trotz „Atomausstieg“ Teil des internationalen nuklearen Systems. Der BUND fordert den sofortigen und vollständigen Atomausstieg und die Stilllegung aller Atomanlagen. Mehr Informationen zum unvollendeten Atomausstieg finden Sie auf unserer Themenseite

Wohin mit dem Atommüll? 

Mit dem Aus der Atomkraftwerke ist das Atomzeitalter in Deutschland also nicht vorbei. Das betrifft auch den Atommüll, der durch Betrieb und Rückbau der AKW angefallen ist. Aktuell lagert der Atommüll in unsicheren Zwischenlagern an der Erdoberfläche. Wir setzen uns für ein neues Zwischenlagerkonzept mit sichereren Lagern ein und begleiten die Suche nach einem „Endlager“ für radioaktive Abfälle weiter kritisch. Mehr Informationen zu Atommüll finden Sie auf unserer Themenseite.

Atomausstieg: Motor der Energiewende

Der Anti-Atom-Bewegung hat aber nicht nur gegen die Hochrisikotechnologie Atomkraft protestiert. Die Bewegung hat sich auch schon früh für erneuerbare Energien und Energiesparen stark gemacht. Erst der AKW-Ausstiegsbeschluss hat überhaupt eine Energiewende möglich gemacht. Atomkraft ist kein Mittel im Kampf gegen die Energie- und Klimakrise. Atomstrom ist bereits jetzt teurer und CO2-intensiver als Strom aus erneuerbaren Energien. Mehr Informationen dazu finden Sie auf unserer Themenseite zur Energiewende.

BUND-Newsletter abonnieren!

Kontakt

Juliane Dickel

BUND-Expertin für Energiepolitik, Klima und Atom
E-Mail schreiben Tel.: +49 302 7586-562

BUND-Bestellkorb